Die Tochter des Teufels
sah Nadja von der Seite an, und sie wich seinem Blick aus. Nur hinterher, als sie einen Augenblick allein waren, weil Frank mit den Zollbeamten zu den Löwenkäfigen ging, sagte sie: »Sieh mich nicht immer an wie ein getretener Hund! Ich freue mich. Ja, ich freue mich! Und ich liebe Frank mehr als je zuvor! Weißt du, daß Helena schon Papuschka zu ihm sagt?«
»Ich weiß.« Saparin nickte. »Ich muß zu den Pferden. Sei friedlich, Nadja …«
Sie sah ihm nach, wie er über Deck ging, breitschultrig und so, wie ein Kosak geht, und sie dachte: Es ist gut, daß er hier ist. Er hätte mir gefehlt. Er ist die Heimat, wirklich.
Und sie lächelte, ging in ihre Kabine, zog Helena warm an, kam wieder an Deck und zeigte ihr das schöne, freie, stolze Amerika, die Wolkenkratzer und die vielen Schiffe in der Upper Bay, im Hudson und im East River.
»Das ist wie im Märchen, Mamuschka!« rief Helena und starrte zur Sonnenkrone der Freiheitsstatue empor. »Davon habe ich geträumt …« Und Nadja zog Helena an sich und sagte: »Wir alle träumen von Märchen …«
So fuhren sie in New York ein.
Die erste Vorstellung des Zirkus Orlando sollte vier Tage später im Süden New Yorks, in Richmond auf Staten Island, stattfinden. In der Nähe des Waldes bei New Dorp hatte man die Zeltstadt aufgeschlagen. Die amerikanischen Manager hatten gut vorgearbeitet: Überall in New York hingen riesige Plakate mit dem Bild Nadjas und ihrer Löwen; in den Kinos wurden Bilder von ihr gezeigt; Lautsprecherwagen durchfuhren alle Stadtteile der Riesenstadt und riefen in die steinernen Wohnblocks hinein, daß Nadja mit einem Kuß einen Löwen vom Tod erweckt. Am Broadway, auf dem Dach einer Werbeagentur, strahlte ihr Name in Leuchtschrift durch die Nacht.
So gut war die Werbung, daß in einem Haus des Stadtteils Bronx vier Männer zusammenkamen und zu einem fünften sagten: »Brauchen wir einen ausländischen Konkurrenten, Mike? Haben wir nicht genug zu kratzen, daß unsere Viecher Futter kriegen? Und da kommen sie aus Europa und nehmen uns die Kunden weg? Das ist allerhand! Ich habe noch nie Verständnis dafür gehabt, daß Kapitäne mit ihren Schiffen grüßend untergehen. Das sind Idioten für mich! Ich strample weiter. Also, Mike … es ist so einfach … du brauchst nur eine Zigarette fallen zu lassen. Das Zeug brennt wie Zunder …«
Es war ein Samstag, an dem die Galavorstellung des Zirkus Orlando stattfinden sollte. Die Vorstellung war seit Tagen ausverkauft, für einen Monat lief der Vorverkauf schon auf vollen Touren.
Am Nachmittag vor der Premiere war Kindertag und Tierschau. Wie immer stand Helena bei ihren geliebten Elefanten und sprach mit ihnen. Die Besucher schoben sich an ihr vorbei, fragten sie etwas, und Helena zuckte die Schultern und sagte auf russisch: »Nix poniemaj …« Und dann war plötzlich die Hölle los, die Elefanten zerrten an ihren Ketten, hoben die Rüssel und trompeteten schrill, Rauch quoll durch das große Zelt, jemand schrie hell: »Feuer! Feuer!« Alle rannten voller Panik zu den Ausgängen, wo die Flammen schon an die Zeltleinwand schlugen.
»Mama!« schrie Helena. »Mamuschka!«
Die Elefanten kreischten. Dicker Rauch zog durch das Zelt. Irgendwo prasselten die Flammen und fraßen sich ins Holz. Über den Zirkusplatz gellten die Feuersirenen; die eigene Feuerwehr und ein Löschzug aus New York ratterten zum Elefantenzelt, aus dem die Flammen lodernd herausschlugen.
»Meine Elefanten!« schrie der Boß verzweifelt. »Zwölf Elefanten!« Dann packte er einige Stallburschen und rannte in das brennende Zelt, nachdem er sich zuvor von den Wasserstrahlen der Feuerwehrschläuche hatte durchnässen lassen.
Und es gelang … sie retten alle zwölf Elefanten.
Seitlich des Feuers kämpfte in diesen Minuten Frank Castor mit der um sich schlagenden, schreienden Nadja. Er hielt sie fest, umklammerte sie, ließ sich von der ungeheuren Kraft, die sie plötzlich hatte, mitreißen und mitschleifen, ließ sich schlagen und treten und gab Nadja nicht frei.
»Es ist sinnlos!« schrie er immer wieder. »Es ist Wahnsinn! Nadja! Nadja!«
Verzweifelt kämpfte sich Nadja zum Zelt vor. Als das Feuer ausbrach, war sie gleich in ihren Wohnwagen gelaufen und fand ihn leer. Und von diesem Augenblick an wußte sie, wo Helena war. Es gab keine Macht auf dieser Erde, die sie abhalten konnte, ihr Kind aus dem flammenden Zelt zu retten.
»Haltet sie!« brüllte Castor, als es Nadja gelang, sich loszureißen. »Aufhalten! Haltet sie
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