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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Gesicht Gurjews erstarrte. Ja, Entsetzen lag in seinen Augen. Wie ein aufgezogener Spielzeugsoldat ging er weiter, als ihn Nadja zum Parkett, zum neuen Tanz in das Jahr 1914 zog …

3
    Spät am Abend – Nadja blieb in dieser Nacht im Haus der Wyrobowa, die immer mehr zu ihrer Vertrauten und mütterlichen Freundin wurde, sehr zur Freude der Zarin – trat plötzlich Rasputin in die kleine luxuriöse Villa der Hofdame.
    »Väterchen Grigori!« schrie die Wyrobowa auf, als Rasputin in den Salon mit den Seidenmöbeln und dicken Perserteppichen stampfte. »Woher kommen Sie? Keiner weiß, daß Sie in Petersburg sind! Ich werde Mama sofort benachrichtigen. Und auch Papa wird sich freuen. Man vermißt Sie sehr im Schloß, Väterchen. Vor allem die Kinder fragen nach Ihnen. Und Aljoscha …«
    Rasputin zog seinen dicken Pelzmantel aus und warf ihn über die Lehne eines der wertvollen Sessel.
    »Laß Mama und Papa ruhen!« sagte er laut. Seine Stimme hatte einen harten Klang. »Sie brauchen nicht zu wissen, daß ich hier bin! Ich werde auch morgen oder übermorgen zurückfahren nach Pokrowskoje.« Er schüttelte sich. Die Wyrobowa starrte ihn verzückt und ängstlich zugleich an.
    »Wo ist Nadja?« fragte Rasputin. Er dehnte sich wie ein Riesenbär, über seinem breiten Oberkörper spannte sich das grobe Hemd. Von seinen Stiefeln fielen Eisstücke auf den Teppich. »Schläft sie schon?«
    »Sie ist in ihrem Zimmer, Väterchen.« Die Wyrobowa hockte in ihrem Sessel wie ein hypnotisiertes Kaninchen.
    »Was ist geschehen?« Rasputin ging in dem großen Zimmer hin und her. Er blieb vor einer Ikone stehen, starrte das verklärte Gesicht des heiligen Semjon an, ging weiter, riß den geschliffenen Korken von einer hohen Kristallflasche voll Madeirawein, setzte die Flasche an die breiten Lippen und trank schmatzend und in langen Zügen die halbe Flasche leer. Darauf ächzte er etwas, wandte sich zu einem Tisch, auf dem in einer Schale zierliche Kuchen nach französischer Art lagen, griff mit beiden Händen zu und stopfte sich drei Stücke gleichzeitig in den Mund. »Was ist geschehen?« wiederholte er kauend.
    »Nichts ist geschehen, Väterchen Grigori.« Die Wyrobowa verging vor Glück.
    »Du lügst!« Rasputin blieb vor der Wyrobowa stehen. »Seelchen, du lügst! Ich hatte keine Ruhe in Sibirien! Mein Herz zuckte, mein Blut kochte in den Adern, in der Nacht kam der Erzengel Michael zu mir und schrie: Fahr nach Petersburg! Dein Glück ist in Gefahr! – Lügt der Erzengel Michael, he? Was ist geschehen?«
    Über die Wyrobowa glitt die Verzweiflung eines Kindes. Sie verzog weinerlich das Gesicht. »Nichts ist, Väterchen. Könnte ich dich je belügen? Dich, der du in die Herzen siehst und in ihnen liest wie in einem Buch …?«
    Rasputin ging zurück zu der geschliffenen Weinkaraffe, setzte sie wieder an den Mund und trank sie leer. »Laß mich mit Nadja allein«, sagte er dumpf, als er sich abwandte und zur Tür ging. »Besorge neuen Wein. Er wärmt meine Seele mehr als Tee!«
    Er verließ das Zimmer, warf die Tür hinter sich zu.
    Nadja Grigorijewna hatte sich noch nicht ausgezogen. In einem mit hellgrauem Nerz besetzten Kleid und gelösten, bis auf die Schultern fließenden Haaren saß sie am Fenster an einem kleinen weißgold und rot lackierten Schreibsekretär und sah hinaus auf den Schnee und die bizarren Bäume des Gartens, durch die der Nachtsturm fegte.
    Sie schrieb einen Brief an Nikolai Gurjew.
    Jeden Abend schrieb sie jetzt einen Brief. Nur ein paar Zeilen, nur ein Hauch von Glück und Seligkeit floß auf das rosa Papier, und wenn sie geschrieben hatte: »Ich liebe Dich! Ich sehne mich nach Dir! Die Welt ist schöner geworden, seit ich sie in Deinen Augen gesehen habe …«, dann setzte sie nicht darunter: »Deine Nadja«, sondern sie drückte ihre Lippen auf das Papier, und dieser Abdruck sagte: Ich küsse Dich, Nikolai … ich bin bei Dir …
    Seit der Silvesternacht hatte sie Gurjew nur einmal von fern gesehen, auf dem Pferd, vor einer Eskadron reitend, in Pelzmütze mit dem kaiserlichen Adler und einem Mantel aus wertvollen Biberfellen.
    Aber schreiben, das konnte Nadja in ihrem goldenen Käfig von Zarskoje Selo. Jeden Abend schrieb sie: »Gute Nacht, mein Liebster!« Oder: »Ich habe zwei Sterne am Himmel gesehen … waren es Deine Augen, Nikolai?« Und die Briefchen gingen hinaus aus dem Schloß. Die Kammerfrau trug sie weiter, die Friseuse nahm sie mit, die Englischlehrerin, einmal sogar der Neger Apty, der

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