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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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glitten über seine Brust und falteten sich. Er betete stumm.
    Mit einem Achselzucken verließ Dr. Wladimir das Haus, setzte sich in seinen schwankenden Karren und fuhr acht Stunden wieder zurück nach Tjumen. Für ihn gab es keinen Rasputin mehr.
    Aber Rasputin überlebte. Fiebernd und fluchend, betend und Verwünschungen ausstoßend, von unheimlicher Wildheit nach Leben und peinigender Todesangst befallen, ließ er sich nach Tjumen ins Krankenhaus bringen, mit einem alten Bauernkarren, der vierzehn Stunden unterwegs war.
    Professor Fedorow, den die Zarin am 10. Juli nach Tjumen schickte, operierte Rasputin noch einmal. Nach acht Tagen glaubte auch er an ein neues Wunder: Rasputin erholte sich, der Eiter floß literweise über den angelegten Drain aus der Bauchhöhle, dann ging das Fieber zurück, die Schwellung des Leibes fiel zusammen.
    »Ich lebe …«, sagte Rasputin an diesem Tag. »Ich werde weiterleben. Rußland braucht mich … Papa und Mama brauchen mich dringend …«
    Genau einen Monat nach dem Tag, an dem Rasputin getötet werden sollte, weil er den Krieg verdammte, wurden in Sarajewo der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau von Mitgliedern des Geheimbundes ›Schwarze Hand‹ ermordet.
    Österreich mobilisierte. Deutschland rief die Reservisten unter die Waffen. England und Frankreich zogen die Armeen an der Grenze zusammen, die britische Flotte stand unter Dampf. In Rußland hob Großfürst Nikolai Nikolajewitsch die Hand, als gebe er ein Signal. »Es ist soweit, meine Herren!« sagte er zu den Generälen. »Ich werde Seiner Majestät den Willen des russischen Volkes übermitteln, dem serbischen Bruder zu helfen …«
    Die Welt hielt den Atem an. Und auch Rasputin, zwischen Tod und Leben, erkannte die Gefahr. Von seiner Tochter Maria ließ er sich Feder und Papier bringen und schrieb ein Telegramm an den Zaren. Er flehte den Herrscher des größten Landes der Erde an:
    »Lieber Freund, ich wiederhole es Dir noch einmal. Ein fürchterliches Gewölk zieht über Rußland auf. Unglück! Unzählige Leiden! Von allen Seiten ist es düster. Und ich bemerke an keinem Punkt des Horizonts einen Hoffnungsschimmer. Überall Tränen, ein Ozean von Tränen! Und das Blut? Ich finde keine Worte! Das Entsetzen ist unbeschreiblich. Dennoch weiß ich, daß alles von Dir abhängt. Diejenigen, die den Krieg wollen, begreifen nicht, daß er unser Untergang ist. Schwer ist die göttliche Züchtigung, wenn Gott uns die Vernunft nimmt, denn das ist der Anfang vom Ende. Du bist der Zar, der Vater des Volkes! Du darfst die Unsinnigen nicht triumphieren lassen und selbst mit dem Volk untergehen! Wir werden Deutschland besiegen, ja, aber was wird aus Rußland werden? Wahrlich, ich sage Dir: Trotz unseres Sieges wird es seit Anbeginn der Jahrhunderte keine entsetzlichere Qual gegeben haben als diejenige Rußlands. Es wird ganz von Blut überschwemmt sein. Und sein Untergang wird vollständig sein – Unendliche Traurigkeit. Grigori.«
    Welche Worte! Welche Geschichte, die erst die späteren Generationen verstehen lernten.
    Am 1. August 1914 donnerten die Geschütze, krachten die Gewehre, heulten die Schrapnelle, brüllten die angreifenden Regimenter Hurra. Die russischen masurischen Armeen unter General Rennenkampf und General Samsonow marschierten nach Ostpreußen.
    Eine Welt begann zu brennen.
    In seinem Haus in Pokrowskoje, hinter dem Ural, im weglosen Sibirien, lag Rasputin, einem Gerippe gleich, in seinem Bett. Er weinte.
    Er weinte um seinen eigenen nahen Tod. Er weinte um Rußland, das er als einen blutenden Leichnam sah. Er weinte um Nadja, die er nie wiedersehen würde. Er weinte, weil Gott sich von allen abgewandt hatte.
    Über Petersburg flatterten die Fahnen, läuteten die Glocken aller Kirchen, schossen die Artillerie und die schweren Schiffsgeschütze in den Hafenbecken der Gutujew-Insel Salut, jubelten die Menschen auf den Straßen, wurden die ausrückenden Soldaten, die durch die Stadt zu den Verladebahnhöfen marschierten, mit Blumen und Küssen überschüttet.
    Krieg! Wir werden Deutschland schlagen!
    Anna Wyrobowa hatte eine glänzende Idee. Die Zarin und die Zarentöchter nahmen sie mit Begeisterung auf. Es war eine Flucht aus dem Einerlei des Alltags, ein Ausflug aus dem goldenen Käfig.
    »Mama«, sagte die Wyrobowa. Sie hatte sich die Anrede Rasputins für die Zarin auch angewöhnt, und man duldete es. »Unser Volk jubelt, die Soldaten ziehen umkränzt in die Schlacht … wir sollten

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