Die Tochter des Teufels
durch das Land, in der Duma stritten sich die Abgeordneten, wer Schuld habe an der russischen Katastrophe, das Volk hungerte, die Generäle schwiegen, der reiche Adel feierte weiter auf seinen Schlössern, als gäbe es keinen Krieg, hier und da, vereinzelt noch, meuterten schon Soldaten gegen die Befehle ihrer Offiziere. Alexander Feodorowitsch Kerenskij, ein Abgeordneter der Duma, entfachte Stürme mit seinen Reden von Sozialismus, Freiheit und Gleichheit, eine Idee geisterte durch das Volk: Eine Republik! Eine Republik des freien russischen Volkes! Eine Volksregierung!
»Mach Frieden mit Deutschland, Papa«, sagte Rasputin eindringlich. »Rette Rußland vor dem Untergang …«
Es war der 16. Dezember 1916, als sich Rasputin besonders sorgfältig und festlich ankleidete. Über sein weißseidenes Oberhemd, das die Zarin selbst mit Kornblumen bestickt hatte, und über seine Hosen aus schwarzem Samt, die in blankgeputzten Stiefeln steckten, zog er einen dicken Pelz, betrachtete sich im Spiegel und kämmte mit seltener Hingabe seine Haare und seinen Bart. Aron Simanowitsch, sein Sekretär, sah ihm beunruhigt zu. Auch Mascha, von Rasputin ›Schwester‹ genannt, ein üppiges blondes Mädchen, das seine Favoritin war, beobachtete ihn mit zusammengekniffenen Lippen.
»Wohin gehst du, Grischa?« fragte sie. »Fein hast du dich gemacht. Was soll's?«
Rasputin zog den Pelz aus und warf sich lachend auf das Bett.
»Ich gehe zum ›Kleinen‹!« sagte er. »Was glotzt du so? Um Mitternacht holt er mich mit einem Auto ab! Keiner soll es wissen, hört ihr? Die Fürstin will bei mir beichten.« Er schloß die Augen und schnalzte mit der Zunge. Die Fürstin, dachte er. Irene Alexandrowna, die Nichte des Zaren, Tochter des Großfürsten Alexander Michailowitsch, die Frau des Fürsten Jussupoff, die schönste Frau Rußlands, wie man sie nennt … sie erwartet mich. Und ihr Mann selbst wird mich zu ihr hinführen. Heute nacht, um Mitternacht genau …
Aber noch war es lange Zeit bis dahin. Rasputin starrte gegen die Decke, und wie ein Schatten glitt es über ihn. Eine Ahnung stieg in ihm auf, die seinen Herzschlag schwer machte. »O Gott«, sagte er leise und faltete die Hände. »Es darf nicht so sein. Ich bitte um deinen Schutz …«
Getrieben von einer plötzlichen Unruhe, sprang er auf und schrieb zwei Briefe. Einen an seine Familie, an seine zwei Töchter Maria und Warwara, die ein paar Zimmer weiter in seiner Wohnung schliefen und ihm schon gute Nacht gesagt hatten. Einen zweiten an Nadja Grigorijewna Woronzowa. Ihn steckte er ein, in einen Lederbeutel, den er unter dem Seidenhemd auf der Brust trug.
»Seelchen – wenn diese Worte dich erreichen, weine nicht. Ich bin tot. Das Schicksal wollte es so. Du aber wirst leben und glücklich sein, und du wirst die Welt sehen in aller Schönheit, und es werden meine Augen sein! Leb wohl. Wer kann begreifen, wie ich dich liebte? Dein Väterchen Grigori.«
Was ist das, dachte er, als er unruhig hin und herlief. Warum denke ich an den Tod? Jussupoff, der ›Kleine‹, ist mein Freund! Von einer seelischen Krankheit habe ich ihn geheilt, wir haben in der Villa Rode zusammen getrunken und nach der Musik der Zigeuner gesungen. Warum habe ich Angst, zu dir zu gehen?
Um die gleiche Zeit trafen sich im Arbeitszimmer des Fürsten Jussupoff der Großfürst Dimitri Pawlowitsch, der stämmige Leutnant Suchotin, der Abgeordnete der Duma Purischkewitsch und der Militärarzt Dr. Lasowert zu einer letzten Besprechung.
»Ist alles in Ordnung?« fragte er nervös. Ein zierlicher, feingliedriger Mann war er, mit einem schmalen, edel geschnittenen Gesicht. Unruhig glitten seine Hände über den Tisch.
Die anderen vier Verschwörer nickten. »Ich bin zwölf Stunden umhergefahren, ehe ich die richtige Stelle hatte«, sagte Großfürst Dimitri. »Nun wartet alles. Ich habe von zwei meiner Arbeiter ein Loch in das Eis schlagen lassen … in die kleine Njewka, unter der Petropawlowsk-Brücke. Du weißt, auf der Peter-Insel.«
Jussupoff nickte. Der Arzt Dr. Lasowert trocknete sich noch immer die Hände ab, als müsse er die Haut abschaben.
»Die Kuchenstückchen sind mit Zyankali geimpft.« Seine Stimme war nüchtern wie bei einem medizinischen Vortrag. »Auch zwei Karaffen Madeirawein sind vergiftet. Die Menge reicht aus, um zehn Ochsen zu töten. Er wird umfallen wie ein gefällter Baum.«
»Das Auto?« fragte Jussupoff, tief atmend.
»Bereit!« sagte Leutnant Suchotin.
Mit einem großen
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