Die Tochter des Teufels
ein Beispiel geben, hinausfahren zu einem Bahnhof und auch Blumen, Schokolade und Bilder des Zaren an die Truppen verteilen.«
»Wir werfen Blumen! Wir werfen Blumen! O Mama, erlaube es! Erlaube es!« Die jüngste Zarentochter, die immer fröhliche Anastasia, hüpfte durch das Zimmer. Nadja sah aus dem Fenster. Unberührt von dem begonnenen Krieg spielte der Zarewitsch mit seinem Leibmatrosen Derenkow im Park.
»Ich werde Papa fragen«, sagte die Zarin. »Aber ich glaube, er wird nichts dagegen haben.«
Am Nachmittag des 2. August fuhren sieben Equipagen des kaiserlichen Hofes, mit Lakaien und Dienern, von Zarskoje Selo nach Petersburg zum Baltiski Woksal, dem Baltischen Bahnhof. Ein Wagen mit Blumensträußen und Liebesgabenpaketen folgte den Kutschen.
Begleitet von Offizieren und Lakaien, abgeschirmt von Husaren, betraten die vier Zarentöchter, die Hofdamen, die Wyrobowa und Nadja Grigorijewna den Bahnsteig. Aus den Fenstern der Waggons winkten und jubelten die Soldaten, wie befohlen, eine Militärkapelle spielte die Zarenhymne.
Langsam gingen die Großfürstinnen von Fenster zu Fenster, reichten Blumen hinein, drückten harte Hände und verschenkten die Liebesgabenpakete. »Viel Glück!« sagten sie immer wieder. »Ihr werdet siegen …«
Als sie die Mitte des Zuges gerade erreicht hatten, bat der Oberst, Kommandant des Transportes, um Vergebung. Die Fahrpläne waren genau berechnet, es ging um militärische Pünktlichkeit, der Zug mußte jetzt abfahren.
Die Großfürstinnen nickten und traten zurück. Auch Nadja verließ eines der Fenster, in das sie gerade einen Strauß geworfen hatte. Im Arm hielt sie noch einen Bund kleiner Chrysanthemen.
Nadja stand auf der Mitte des Bahnsteigs, als der Zug leise anruckte. Noch einmal blickte sie die lange Fensterreihe mit den winkenden Soldaten ab. Ihre große, stille Hoffnung zerrann. Gurjew war nicht darunter.
In diesem Augenblick durchbrach ein Ruf den Jubel. Nadja hörte ihn, rannte ein paar Schritte vorwärts, dem Klang entgegen, der in ihr zitterte. »Wo willst du hin?« hörte sie die Stimme der Wyrobowa. »Nadja, stehenbleiben!«
Da war es wieder. Im Gewirr der Stimmen, der dampfenden Lokomotive, des Jubels hörte sie es ganz klar.
Fast am Anfang des langen Zuges … ein langgestreckter besserer Wagen als die anderen. Im Fenster die flachen Mützen von Offizieren, breite Schulterstücke, winkende Arme.
»Nadja! Nadjuscha … Hier! Hier!«
Durch Nadjas Herz zog eine Welle unsagbaren Glücks.
»Nikolai!« schrie sie. »Mein Niki! Nikolai.«
Eine Hand hielt sie an der Schulter fest. Die Wyrobowa stand hinter ihr, hochrot im Gesicht.
»Welch ein Benehmen!« zischte sie. »Du kommst sofort zurück zu den Großfürstinnen.«
»Da ist Nikolai! Mein Nikolai!« Nadja riß sich los, ihr Gesicht leuchtete vor Freude. Sie raffte ihre seidenen Röcke und lief dem Fenster zu, aus dem sich Gurjew lehnte und ihr mit beiden Armen zuwinkte.
Der Zug rollte an, die Kapelle spielte einen Marsch, die Soldaten winkten mit den geschenkten Blumen.
»Nikolai!« rief Nadja. Sie rannte neben dem Fenster her, ihr Haar flog im Wind. Sie reichte Gurjew den Blumenstrauß, sie ergriff seine starken Hände, und so rannte sie, von ihm gehalten, fast hochgehoben, und sie sahen sich an, und sie lachte und sie weinte und schrie: »Ich liebe dich! Ich liebe dich! Ich liebe dich! Komm wieder! Komm wieder! Ich warte … ich warte …«
»Ich werde dich nie vergessen, Nadjuscha!« rief Gurjew zurück. Tränen rannen über sein Gesicht, er ließ ihre Hände los, als der Zug schneller fuhr und es gefahrvoll war, sie länger festzuhalten.
»Komm wieder, Niki!« schrie sie. Vor ihren Augen löste sich die Welt auf. Der Bahnhof begann zu kreisen. »Ich liebe dich … Ich liebe dich …« Die Zugpfeife schrillte. Donnernd rollten die anderen Wagen an ihr vorbei, schneller, immer schneller … Zwei Arme, die winkten … die Chrysanthemen … ein letzter Blick seiner Augen … und dann Fenster, Fenster, Fenster … singende Münder, wogende Köpfe, Blumen und Bänder, Musik, Rauch, Sonne … rollende Räder … Fenster …
Dann war der Zug hinaus aus dem Bahnhof. Es war plötzlich still.
Zwei Husarenoffiziere faßten Nadja Grigorijewna unter und brachten sie zurück zum kaiserlichen Gefolge. Die Großfürstinnen umringten sie und bestürmten sie mit Fragen. Die Wyrobowa hatte ein steinernes Gesicht.
Aber Nadja wandte sich ab, drückte die Hände vor die Augen und weinte.
Der Krieg!
Warum
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