Die Tochter des Teufels
liebt und das der Adel ausbeutet und knechtet! Ich sage ihm die Wahrheit über die vielen tausend Deportierten und Sträflinge in Sibirien, die im Namen des Zaren lebendig verfaulen – und Papa weiß nichts davon! Dafür bin ich geboren … die Wahrheit zu sagen und Rußland, meinem Rußland, zu helfen!« Rasputin starrte Nikolai Gurjew an, den Mann, der ihm seine Tochter stahl. »Geh!« sagte er hart. »Geh sofort! Oder ich flehe den Himmel an, dich mit ewigem Fluch zu belasten …«
Nikolai Gurjew zögerte ein paar Sekunden. Noch einmal sah er zu der weißen Doppeltür, hinter der Nadja sein mußte, dann wandte er sich ab, verließ die Wohnung und rannte aus dem Haus. Auf der Straße sprang er in seinen wartenden Schlitten, boxte dem Kutscher in den Rücken und schrie: »Fahr los! Irgendwohin! Ich muß Luft haben. Frische, eisige Luft! Fahr, du Schurke!«
Der Schlitten ruckte an.
In diesem Augenblick sprang aus einem Hauseingang ein junger schmaler Mensch in einem langen schwarzen Mantel, hetzte über die verschneite Straße und sprang neben Gurjew in den anfahrenden Schlitten. Er fiel ihm fast vor die Füße, umklammerte die Seitenholme und richtete sich auf die Knie auf. Aus einem schmalen, bleichen Gesicht sahen Gurjew zwei irre, fiebrige Augen an.
»Lassen Sie weiterfahren, Herr Hauptmann!« sagte der schwarzgekleidete Mann. »Ich bin ein Mönch. Genjka heiße ich … ein Mönch … Sehen Sie meine Kleidung …«
»Was wollen Sie von mir?« fragte Gurjew. Unter der Felldecke umklammerte er den Degenknauf, bereit, sofort die Klinge blank zu ziehen.
»Woher kommen Sie?«
»Sie waren bei ihm … dem Antichrist, dem Teufel in Person, dem Verderber der Welt … Hassen Sie ihn? Wollen Sie ihn töten? Ich habe Sie gesehen, als Sie aus dem Haus kamen. In Ihren Augen lag Mordlust! Ich bin nur ein Mönch … ein kleiner Mönch in armseliger Armut. Aber ich habe einen Auftrag von Gott: Ich muß die Familie Rasputin vernichten …«
Gurjew überlief es eiskalt. Er sah Genjka in die irren Augen und erkannte die Gefahr in seinem Wahnsinn. »Die Familie?« fragte er. »Warum sie? Genügt nicht Rasputin allein?«
»Nichts darf von ihm übrigbleiben!« Der Mönch Genjka hob beide Arme gegen den bleiernen Winterhimmel. Er würde den Himmel aufreißen, wenn er es könnte, durchfuhr es Gurjew schaudernd. »Ein heiliger Auftrag ist's, Bruder Hauptmann! Alles, was Rasputin gehört, darf nicht mehr leben! Erst wenn die Welt wieder ohne Rasputins ist, wird es eine Welt Gottes! Willst du ihn töten?« Genjka sah Gurjew mit flackernden Augen an. Er zitterte vor Frost und heiliger Erregung. »Tu es, Bruder, tu es! Gott wird dich segnen!«
»Ich werde es nicht tun!« schrie Gurjew auf. Er warf die Felldecken weg, zog den Degen und richtete sich auf. Der irre Mönch Genjka kreischte wie ein Marktweib, duckte sich, sprang auf die Straße zurück, glitt auf dem glatten Schnee aus, rutschte ein paar Meter, und dabei kreischte er weiter, schlug mit den Armen um sich und gebärdete sich wie ein tollwütiger Wolf. Dann fand er Halt, sprang auf die Beine, erhob drohend die Faust gegen den über den breiten Newski-Prospekt hingleitenden Schlitten und ging zurück zum Haus Rasputins, wo er wieder Posten bezog in dem Hausflur daneben, ein Schatten, der dem Staretz folgte, nun schon sieben Jahre lang …
Oben in der Wohnung hatte Rasputin gerade die Tür geschlossen, als Nadja aus dem Wohnzimmer kam. Sie hatte nur dumpfe Stimmen gehört, denn die Türen in der Wohnung Rasputins waren dicht und schlossen viele Geheimnisse ab. Dann waren die Stimmen plötzlich verstummt, und nun trieb die Angst sie hinaus auf den Flur. Sie sah den großen, in Watte gepackten Rosenstrauß auf dem Stuhl, sie sah ihren Vater, wie er gerade die Tür schloß, und etwas zersprang in ihr mit einem heißen, wie in Feuer gehüllten Stoß.
»Wo ist er, Vater?« fragte sie. »Wo ist Nikolai? Er war hier … die Blumen dort … Warum ist er gegangen …?«
Rasputin drückte das Kinn an. Seine Augen wurden klein und zwingend. »Er wird nicht wiederkommen!« sagte er laut. »Ich habe es ihm angesehen: Er ist deiner nicht wert!«
»Ich liebe ihn!« Es war ein Aufschrei, der Rasputin zusammenzucken ließ. »Was hast du mit ihm gemacht? Was hast du ihm getan?« Sie rannte zur Tür, und als sich Rasputin ihr entgegenstellte, vergaß sie alles, vergaß, daß es ihr Vater war, daß sie ihn liebte und verehrte, daß er für sie der größte Mensch auf Erden war …
»Ich
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