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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ist Rasputin nicht hier?
    Niemand hatte Nadja gesagt, was mit ihrem Vater geschehen war.
    In der Nacht noch schrieb sie einen Brief.
    »Wenn Du mich liebst, wenn ich Deine Tochter bin, Väterchen, rette Nikolai! Hole ihn zurück von der Front. Ich könnte nicht mehr leben ohne ihn. Väterchen, hilf mir. Deine unglückliche Nadja …«
    Rasputin bekam diesen Brief in Tjumen, im Krankenhaus, nachdem ihn Professor Fedorow noch einmal operiert hatte.
    Sofort schickte er ein Telegramm an den Zaren.
    Es kam zu spät.
    Die Schlacht bei Tannenberg war geschlagen. Die Armeen Rennenkampfs und Samsonows waren vernichtet. Von den deutschen Generälen Hindenburg und Ludendorff sprach die ganze Welt. Rußland stöhnte auf. Hunderttausende von Müttern und Frauen weinten.
    Die Meldung war kurz, die Nadja erhielt, und diesmal gab sie ihr die Wyrobowa selbst:
    Hauptmann Nikolai G. Gurjew wurde bei Tannenberg verwundet und ist seitdem vermißt. Es muß damit gerechnet werden, daß ihn die Deutschen töteten.
    Es war Mitte September, als Rasputin wieder in Petersburg eintraf, das nach Kriegsanfang nun amtlich Petrograd hieß. Eine unerhörte Unruhe trieb ihn aus Sibirien weg in die Hauptstadt.
    Nicht mit einer kaiserlichen Equipage kam er nach Zarskoje Selo, sondern in einem billigen Mietwagen. Plötzlich, unangemeldet, stand er wieder im Haus der Wyrobowa, ein hohläugiger Dämon mit einem zerzausten Bart.
    »Wo ist Nadja?« fragte er, ehe die Wyrobowa seine Hand küssen und um seinen Segen bitten konnte. »Ich muß zu ihr …«
    Durch eine Hintertür des Schlosses betrat Rasputin den Palast. Die Wyrobowa begleitete ihn. Vor der Tür zu Nadjas Zimmer blieb sie stehen.
    »Sage Papa und Mama, daß ich gleich komme«, sagte Rasputin. »Ich muß sie sprechen!«
    Dann riß er die Tür auf und trat ein.
    Nadja, am Fenster sitzend, rührte sich nicht. Rasputin blieb stehen, und sein hartes Herz zerschmolz wie Schnee im Frühlingswind, als er sie sah. Ihre Blässe ergriff ihn, ihre Starrheit umklammerte sein Herz.
    »Mein Seelchen …«, sagte er leise.
    Nadja zuckte zusammen. Sie sprang auf, Hoffnung und Flehen waren in ihrer Gebärde, als sie die Arme ausstreckte, auf Rasputin zuging, den Kopf an seine Brust drückte und ihn umarmte.
    »Er ist vermißt, Väterchen …«, schluchzte sie. »Er ist tot. Die Deutschen haben ihn erschlagen!« Dann weinte sie wie ein kleines Kind, umklammerte ihren Vater und ließ sich von ihm hochheben, zum Bett tragen und niederlegen.
    »Warum weinst du, mein weißes Schwänchen?« fragte Rasputin. Er streichelte ihre Stirn, wischte die Tränen von ihrem zuckenden Gesicht, setzte sich neben sie aufs Bett und hielt ihre Hände fest. Und da war sie wieder, die unheimliche Kraft, die von ihm auf die anderen Menschen überging … »Er ist nicht tot, mein Seelchen …«
    »Sie haben es gemeldet, Väterchen …«, stammelte Nadja.
    »Sie wissen es nicht anders.« Rasputin sah über den Kopf Nadjas hinweg, als blicke er in die Weite des sibirischen Landes.
    »Er lebt«, sagte er mit seiner dunklen singenden Stimme. »Ich sehe ihn … irgendwo an einem großen Wasser, in einem weißen Haus, in einem weißbezogenen Bett. Verwundet ist er, ja, aber er lebt, und er wird weiterleben und zurückkommen nach Petersburg. Du sollst nicht weinen, Seelchen, du sollst nicht traurig sein … er lebt … ich sehe ihn … wir müssen lernen, zu warten … Glaube mir, du sollst nicht traurig sein …«
    Mit einem glücklichen Lächeln schlief Nadja ein, und auf Zehenspitzen schlich sich Rasputin aus dem Zimmer.
    Der Zar und die Zarin empfingen ihn sofort, als die Wyrobowa ihn anmeldete. Nikolaus II. kam ihm mit gesenktem Kopf entgegen, wie ein ausgescholtener Schuljunge, wie ein Bub, der seine Schulaufgabe vergessen hat. Die Zarin beugte das Knie, um sich segnen zu lassen.
    »Dieser Krieg!« sagte Rasputin laut und breitete die Arme aus, als solle er ans Kreuz geschlagen werden. »Ein Verbrechen ist er! Papa, o Papa … was soll aus unserem Rußland werden?«
    Der Zar zog die Schultern hoch, wie ein Mensch, der friert, und wandte sich stumm ab.
    Die Jahre vergingen.
    Von Nikolai Gurjew kam keine Nachricht mehr. Rußland blutete aus tausend Wunden, auf den Schlachtfeldern wurden die besten Armeen geopfert, kein Haus gab es mehr im weiten Land, in das nicht die Trauer einzog und Bilder der Toten umkränzt wurden.
    »Wir müssen Frieden machen, Papa«, sagte Rasputin zum Zaren. Der Winter 1916 war gekommen, die Armeen wankten kraftlos

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