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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vorgeschlagen, Nikolai Gurjew zu begnadigen und ihm als einem freigelassenen Häftling ein Stück Land in Sibirien zuzuweisen, das er urbar machen kann. Dort können Sie leben, Kinder kriegen und mithelfen, Sibirien mit Hacke und Schaufel zu erobern.«
    Nadja Gurjewa schob das Schreiben ungelesen über den Tisch zurück zu Oberst Sinjew. Es war eine stolze Gebärde, die Sinjew fasziniert beobachtete. »Wir wollen keine Gnade, Herr Oberst«, sagte sie laut. »Wir wollen Gerechtigkeit! Nikolai ist unschuldig!«
    »Gerechtigkeit braucht Zeit, Madame.« Sinjew legte den Brief in eine lederne Mappe. »Sie werden sie in Sibirien haben.«
    Acht Tage später, bei einem wütenden Schneesturm, der Chabarowsk völlig unter weißen Bergen vergrub, wurden die vierhundert Sträflinge verladen. Einfache Viehwagen waren es, deren Boden man mit Stroh belegt hatte.
    In einem Personenwagen, der als letzter an den Zug gekoppelt war, erhielt Nadja Gurjewa ein Abteil für sich allein. Sinjew hatte es so angeordnet.
    Beim Verladen sah Nadja ganz kurz Nikolai. Mit drei anderen, aneinandergefesselten Kameraden holte er einen großen Kessel kochendes Wasser aus dem Bahnhofsgebäude. Sie winkten sich zu, als führen sie auf zwei sich begegnenden Schiffen aneinander vorbei, ihre Blicke trafen sich und riefen sich zu: Ich liebe dich … dann stolperte Nikolai weiter.
    In der Nacht setzte sich der Zug in Bewegung. Nadja saß am Fenster und drückte die Stirn gegen die kalte Scheibe. Der Übergang von der Zivilisation zur völligen Wildnis ging sehr schnell … ein paar Hütten noch, ein paar winzige, einsame Lichter … dann kam der Wald an die Gleise heran, Tannen, Lärchen und Zedern, eine vereiste, starre Wand, die sich verlief in den Sümpfen, um dann wiederaufzutauchen in urweltlicher Größe und Einsamkeit.
    Sibirien.
    Gab es jemals ein Zurück zu den Menschen?
    Am sechsten Tag der Fahrt passierten sie den Holzverladeplatz Ust-Tschenaja. Es hatte sich bei den Sträflingen herumgesprochen, daß man gegen Mittag den Ort durchfahren würde. Nun standen sie alle an den offenen Türen der Viehwagen und sahen auf den Flecken Urwald und Fels, der für unbestimmte Zeit ihre Heimat und für viele von ihnen auch das Grab werden sollte.
    »Es ist ein richtiger Ort!« schrie jemand. »Sogar eine Kirche haben sie!«
    »Ich habe Weiber gesehen. Weiber, Freunde!«
    »Ein Rock für zwanzig Mann! Was soll's?«
    »Wir werden es genau organisieren, Brüder. Jeder bekommt eine Karte, die gelocht wird!«
    Man lachte. Mit rasselnden Ketten winkten sie den Leuten von Ust-Tschenaja zu.
    Ein kurzes Vergnügen war's, dann umgab sie wieder der starre Wald, die schweigende Unendlichkeit Sibiriens. »Idioten sind die Militärs!« sagte jemand. »Statt zu halten und uns auszuladen, schaffen sie uns nach Tschita und von dort wieder zurück nach Ust-Tschenaja, nur weil der alte Ryschikow uns sehen will! Und ich wette, wir müssen das Stück auch noch zu Fuß zurück! Dreihundertfünfzig Werst durch den Wald! Man sollte sie alle ertränken!«
    Genauso war es. Bis Tschita, der großen Eisenbahnstation nach Irkutsk, fuhr der Zug, rollte auf ein Nebengleis und wurde dort von Militär erwartet.
    Während die Sträflinge ausgeladen wurden, ihre Ketten wieder aufnahmen und in Viererreihen aneinander angeschlossen wurden, fuhren Sinjew und Nadja Gurjewa in einem Tarantas in die Stadt. Vor dem hohen Holzzaun eines roten Hauses blieben sie stehen, ein Posten in seinem schwarz-weiß gestreiften Schilderhaus kam heraus, grüßte den Oberst und meldete durch eine Klingel das Kommen der Gäste. Von innen wurde das Tor geöffnet, der Tarantas fuhr in einen wie ein Garten angelegten Hof und hielt vor einer Freitreppe. Ein Leutnant kam ihnen entgegen, grüßte stramm und betrachtete Nadja mit Verwunderung.
    »Oberst Sinjew mit dem Transport aus Wladiwostok?« fragte er abgehackt.
    »In der Tat«, brummte Sinjew.
    »Kommen Sie bitte hier herein.«
    Man führte sie in eine Art Vorzimmer, wo ein Eisenofen eine solche Hitze verströmte, daß es den Eintretenden den Atem verschlug. Sinjew riß seinen Pelz vom Körper und half Nadja aus ihrer Vermummung. Erstaunt sah er, daß sie darunter fast festlich gekleidet war. Sie trug ein blaßviolettes Kleid mit Spitzenbesatz und einem Kragen aus weißem Nerz. Das einzige, was dazu fehl am Platz war, waren die Stiefel.
    »Sie verblüffen mich, Madame«, sagte Sinjew ehrlich. »Vergessen Sie nicht – General Ryschikow ist Kommandant eines Straflagers

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