Die Tochter des Teufels
Hurra-Geschrei sprangen die Sträflinge in den Schnee, stellten sich auf, ließen sich die Ketten anschließen und marschierten zum Bahnhofsgebäude. In den klirrenden Händen hielten sie ihre Blechschüsseln.
So kamen sie alle an Nadja vorbei, die mit einer Kelle jedem zweimal heißes Wasser in die Schüssel goß. Als Nikolai vor ihr stand, sahen sie sich stumm an. Über sein Gesicht zuckte es wild, Tränen stiegen in seine Augen … sie nickte ihm zu, tauchte die Kelle in das heiße Wasser und goß seine Blechschüssel voll.
Einmal … zweimal …
»Nadja …«, stammelte er. »O Gott, nun ist alles gut.«
»Weitergehen!« schrien die anderen.
Gurjew schwankte weiter, das heiße Wasser schwappte über seine Finger … dann stand er an einem Holzstapel, brockte das harte Brot in das dampfende Wasser und trank ganz langsam, mit verklärtem Genuß, die graubraune, mehlige Brühe.
Zu Fuß ging es dann weiter zum Lager. Es lag nahe an der Bahnstrecke, sechs lange, flache Baracken mit einem hohen Bretterzaun darum. Die Baracke III war für den neuen Transport hergerichtet. Hundert Holzpritschen, je zwei übereinander. Drei glühende Öfen in der Mitte. Nägel an den Wänden für die Kleider. Längs durch den großen Raum ein langer Tisch mit Bänken. In den Betten Strohsäcke.
»Ein Luxushotel!« sagte der Graf und prüfte die Weichheit seines Bettes. »Man merkt, daß hier die Endstation ist!«
Und so wie er dachten sie alle im Lager Ust-Tschenaja.
In der ersten Nacht stand Gurjew vor dem beschlagenen Fenster der Baracke und starrte gegen die Latten, als seien sie aus Glas. Irgendwo dort draußen, wo jetzt die Wölfe heulten und der Schnee lautlos aus dem bleiernen Himmel rieselte, war Nadja … lag sie auch auf einem Bett in einer Holzhütte und dachte an ihn. Nicht schlecht hatte sie ausgesehen, als sie das Kipjatok am Bahnhof verteilte … ein wenig magerer als früher, aber gesund und voll herrlicher Kraft.
Wann würde man sich wiedersehen?
An einem Mittwoch wurde Gurjew von einem Wachsoldaten abgeholt. Diesmal trug der Soldat Gewehr und Bajonett, aber nur weil es Vorschrift war. Wer hier flüchten wollte, war ein Irrer … die Wölfe zerrissen ihn schon beim Eintritt in den Wald, oder die burjätischen Banden, die merkwürdigerweise völlig unpolitisch dachten, lieferten ihn wieder ab, des Kopfgeldes wegen, das auf jeden eingefangenen Flüchtling ausgesetzt war.
Nadja hatte sich in der Hütte, die man ihr zugewiesen hatte, so gut eingerichtet, wie es in Sibirien möglich war. Aus Tschita hatte sie allen Hausrat mitgenommen. Federbetten, Kochtöpfe, Geschirr, einen Samowar, Gläser, Besen, Gardinen für die Fenster, einen handgewebten Bettvorleger, Tischdecken, Bettwäsche, Decken aus Wolle und geschorenen Fellen … kurzum, es war ein vollkommen eingerichteter Haushalt, der über vierhundert Rubel gekostet hatte und den man in Ust-Tschenaja bestaunte. Sie ließ den Ofen nach eigenen Angaben ummauern, so wie sie ihn von Podunskoje her kannte. Es zeigte sich, daß er viel besser wärmte als die sibirischen Öfen, man konnte in besonderen Nischen die Speisen warm halten und sogar Äpfel braten, und eine Plattform war vorhanden, groß genug, um bei heftigstem Schneesturm, wenn es zu kalt im Bett war, hinaufzuklettern und warm zu schlafen.
An diesem Mittwoch hatte Nadja ihre Hütte hergerichtet wie zu einem Fest. Sie hatte Tannenreiser geflochten und den Tisch damit umkränzt, auf dem ein Krug Kwaß stand. Über dem Feuer bruzzelte ein gespickter Renhirschbraten, und ein Glas mit kandierten Walderdbeeren stand auf einem Holzbord neben der ›schönen Ecke‹. Der Dielenboden war gefegt und mit Wachs poliert, das Bett, breit genug für zwei Menschen, war mit weißen Laken überzogen und aufgeschlagen, ein rührendes Bild der Einladung, das keiner Worte mehr bedurfte.
Nadja stand am Fenster und sah hinaus auf die Straße, über die man Gurjew heranführen mußte. Ihr Herz pochte heftig wie bei einem jungen Mädchen, das zum erstenmal heimlich ihren Liebhaber empfängt.
Innerlich bebend trat sie zurück ins Zimmer, lief zum Spiegel und betrachtete sich. Ihre bronzenen Haare waren aufgelöst und flossen in langen Strähnen weit über ihre Schultern hinab. Über dem schlanken Körper trug sie ein langes weißes Nachthemd, mit Spitzen verziert und doch bäuerlich derb, das beste Nachthemd, das sie in Tschita bekommen konnte. Am Hals war es tief ausgeschnitten und ließ ihre Brustansätze frei … sanft
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