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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Poststation. Sie schloß das Zimmer ab, verriegelte das Fenster und kroch unter die Felle. Über das Land heulte der Schneesturm. Es war ungewiß, ob man morgen weiterziehen konnte.
    Von jeher war die Grenze zwischen Rußland und der Mandschurei eine weiche Grenze. Auf den Landkarten sah man sie als Strich, der keine Rücksicht auf Gebirge, Felsen, Schluchten, Steppen und Sümpfe nahm. Seit Jahrhunderten war diese Grenze deshalb auch unruhig. Mongolische Reiter brachen immer wieder über das russische Land herein und plünderten die Grenzdörfer, schändeten und verschleppten die Frauen und verschwanden dann in der Weite der Mandschurei, bevor ein russisches Regiment aufmarschierte.
    Entlang dieser Grenze zog am vierten Tag die klirrende Kolonne der Verdammten. Oberst Sinjew hatte seine Mannschaft umgestellt … vor den Troikas ritt jetzt eine Abteilung Kavallerie. Die aneinandergeketteten Sträflinge brauchten nicht so viel Bewachung. Wie sollten Sie fliehen? Die Gefahr kam jetzt aus den Bergen.
    »Wenn wir die erste Poststation vor Ignatjewka erreichen, könnte es überstanden sein!« sagte Sinjew zu Oberleutnant Lomonow. »Zwischen den Flüssen Iman und Bikin war schon immer ein Mistgebiet!«
    Gegen Mittag geschah es dann. Die Straße senkte sich etwas aus einer Hochebene und mündete in eine Felsschlucht. Am Eingang dieser Straßenschlucht standen wie eine Mauer pelzvermummte mongolische Reiter auf kleinen, struppigen Pferdchen. Die russische Vorauspatrouille wurde sofort beschossen, als sie sich näherte, machte kehrt und galoppierte zu den Troikas zurück.
    »Halt!« schrie Leutnant Narsochin, der die Vorhut führte. »Alles halt! Der Paß ist von mongolischen Räubern besetzt.«
    Von der Hauptkolonne ritt Oberst Sinjew heran. Man hatte das Schießen gehört und den Zug der Sträflinge sofort im Schnee halten lassen. »Unsere Befreier!« schrie einer der Sträflinge. »Die Ketten werden sie uns abnehmen! Und dann betet! Wir werden euch zerreißen!«
    Sinjews Gesicht war starr geworden. Er überblickte die vierhundert Verdammten und wußte, daß es dort das Wort Gnade nicht mehr gab. Ich werde sie erschießen lassen, wenn die Mongolen kommen, dachte er.
    Oberst Sinjew lächelte grausam. Er gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte nach vorn zu den Troikas.
    Dort hatte sich bereits eine Front gebildet. Maschinengewehre waren hinter den Wagen in Stellung gegangen. Leutnant Narsochin meldete, was er gesehen hatte, aber Sinjew sah es ja selbst deutlich genug.
    In ihrer Troika saß Nadja geduckt hinter einer Kiste mit Brot und starrte auf die mongolischen Reiter. Sie dachte an die Kosaken des Atamans Kubulai, an den Angriff, der die bolschewistische Kompanie zerfetzte trotz Maschinengewehren und Granatwerfern, an das schreckliche Gericht Kubulais und die lange Grube, in der die roten Soldaten verschwanden. Sie hatte genug gelesen, wie die Mongolen ihre Gefangenen behandelten. Und während Sinjew seine Soldaten dirigierte und die mongolischen Reiter sich am Paß zum Angriff aufstellten, stieg in ihr die Erinnerung auf an eine Geschichte, die sie in einem Buch in Zarskoje Selo gelesen hatte … damals, als vierzehnjähriges Mädchen, und sie hatten mit heißen Wangen sich laut aus diesem Buch vorgelesen, die Zarentöchter und sie, die Tochter Rasputins. Die Heldentaten des chinesischen Soldaten Tung-Chi-lai. Mit Pulversäcken vor der Brust und einer Lunte war er vor die Mauern der feindlichen Festung marschiert und hatte mit seinem Leib ein Loch in die Mauer gesprengt.
    Am Paß formierten sich die Mongolen zu sechs Reihen. Hinter den Troikas lagen die Russen.
    In diesen kritischen Minuten geschah etwas Ungeheuerliches. Sinjew erstarrte, die russischen Soldaten duckten sich hinter ihren Troikas, vergeblich versuchte Leutnant Narsochin, den Weg durch drei beherzte Männer abzuschneiden … aus dem Troikalager brach ein Wagen aus, drei wilde, rasende Pferde galoppierten mit schreiendem Wiehern die Straße hinab, dem Paß zu, den leichten Wagen hinter sich herziehend, als sei er ein Stückchen Holz. Und jetzt sahen sie auch, warum die Pferde dem Wahnsinn nahe waren … an ihre Schwänze hatte jemand Strohbüschel gebunden und sie angezündet. Nun rasten sie durch den Wintertag, getrieben von der Hitze und den Flammen an ihren Schweifen, gejagt von der Panik der Angst.
    Oberst Sinjew warf die Arme hoch empor. »Anhalten!« schrie er. »Schießt sie ab! Schießen!« Aber kein Finger rührte sich.
    Sinjew drehte sich herum.

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