Die Tochter des Teufels
und nicht Gastgeber auf einem Ball.«
»Bitte kommen Sie!«
Der Leutnant stand in der Tür. Oberst Sinjew zog seinen Uniformrock gerade, blinzelte Nadja noch einmal zu und betrat zuerst das Zimmer des Generals. Er knallte die Hacken zusammen und meldete sich und seine vierhundert Sträflinge.
Hinter seinem Schreibtisch aus Mahagoni, unter einem Bild des Zaren, erhob sich aus einem plüschbespannten Sessel eine hagere, große Gestalt. Weiße Haare bedeckten den schmalen Vogelkopf, unter einer spitzen, gebogenen Nase hing ein eisgrauer, struppiger Schnurrbart über die schmalen, blutleeren Lippen. Kleine graue Augen sahen Sinjew mit stechender Schärfe an.
»Sie sind in Damenbegleitung, Oberst?«
»So ist es, Exzellenz. General Karsanow hat gestattet …«
»Ich weiß, ich weiß! Wo ist die Dame, zum Teufel?«
»Im Nebenzimmer.«
»Warum im Nebenzimmer? Sie sind nicht wichtig, Oberst! Warum drängen Sie sich vor?«
Oberst Sinjew bekam einen hochroten Kopf und preßte die Lippen zusammen. Mit Staunen sah er, wie Ryschikow um den Schreibtisch herumkam, an ihm vorbeiging und ins Nebenzimmer trat. Dort ging er auf Nadja zu, verbeugte sich, nahm ihre kalte, kleine schmale Hand und führte sie formvollendet an die Lippen.
»Ich begrüße Sie, Madame«, sagte Ryschikow und hielt Nadjas Hand fest. »Tschita zeigt sich von seiner scheußlichsten Seite. Im Sommer ist es erträglicher – da blühen sogar Rosen in unserem Garten. Darf ich bitten …« Er trat zur Seite und zeigte auf sein Zimmer. Verwirrt machte Nadja ein paar Schritte und blieb dann stehen. Ryschikow an ihrer Seite lächelte sie an.
»Kennen wir uns nicht, Exzellenz?« fragte sie unsicher.
»Ob Sie sich meiner erinnern, weiß ich nicht. Ich sah Sie mit den Großfürstinnen auf dem Bahnhof, als Sie unsere tapferen Truppen verabschiedeten, die nach Tannenberg in den Tod fuhren, Sie liefen neben einem Wagen her, aus dem ein junger Offizier hing …«
»Nikolai Gurjew …«, sagte Nadja tonlos. »Er ist jetzt bei den Sträflingen. Er ist mein Mann …«
»Wie sich die Zeiten und Schauplätze ändern, Madame …«
Jegor Arkadjewitsch Ryschikow schloß die Tür. Er winkte Sinjew zu, bequem zu stehen, und lehnte sich gegen die Kante seines breiten Schreibtisches. Dabei warf er einen langen Blick auf das Bild des Zaren.
»Man hat ihn und die ganze Familie ermordet …«, sagte er hart.
»Es war nicht Nikolais Schuld! Er hat den Zaren nicht verraten!« rief Nadja flehend. »Warum glaubt man mir nicht, wenn man von ihm sagt, er lüge, um seinen Kopf zu retten?«
»Wir sind nicht da, Schuldfragen zu klären, Madame. Aber ich habe die Ehre, Ihnen die Anerkennung Admiral Koltschaks auszusprechen für Ihre tapfere Tat bei Ignatjewka. Ich habe über Funk Anweisungen bekommen, die mich sehr erfreuen.«
»Sie lassen Nikolai frei?« schrie Nadja auf. Sie wollte die Arme vor Freude emporwerfen, aber Ryschikow winkte fast traurig ab.
»Der Admiral hat erlaubt, daß Sie bei Nikolai Gurjew bleiben dürfen, auch in Tschita und später in Ust-Tschenaja. Bitte, jubeln Sie nicht zu früh, Madame. Sie werden eine Hütte bewohnen, die außerhalb des Lagers liegt und doch dem Kommando des Lagers und seiner Verwaltung untersteht.« Ryschikow strich über seinen eisgrauen, hängenden Schnurrbart. »Um es kurz zu machen: Ein Sondergesetz des Zaren Nikolaus I. aus dem Jahr 1826 regelt den rechtlichen Status der Frauen, die mit ihren Männern in der sibirischen Verbannung leben wollen. Es war eine besondere Güte des Zaren anläßlich der Verschickung der Dekabristen nach Sibirien. Ausnahmsweise ist Admiral Koltschak als Verwalter des verwaisten zaristischen Erbes bereit, Ihnen diese Güte auch zuzuerkennen.« General Ryschikow ging um seinen Schreibtisch herum, öffnete einen gelben Aktendeckel und schob Nadja zwei große, eng beschriebene Bogen zu. »Wenn Sie es durchlesen und unterschreiben wollen, Madame …«
Nadja setzte sich in den kleinen Lederstuhl, der vor dem Schreibtisch stand, und begann mit leiser, aber deutlicher Stimme vorzulesen. Es war ihr in trockenen amtlichen Worten vorgezeichnetes Schicksal … ein Leben ohne Geheimnisse, zusammengedrängt auf zwei Seiten, geregelt durch Bestimmungen und Verpflichtungen.
»… wenn Frauen politischer Verbrecher ihre Männer nach Sibirien begleiten und bei ihnen bleiben wollen, so kann das nur möglich sein, wenn sie voll das Schicksal ihrer Männer teilen. Sie geben also ihren bisherigen Stand auf. Sie gelten ab sofort
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