Die Tochter des Tuchhandlers
er auf eine zusammengesunkene Gestalt, die auf einem Schemel vor einem Krug Wasser hockte.
»O Gott!« Entsetzt starrte Beatrice auf den Mann, der bei ihrem Eintreten den Kopf gehoben hatte. Die leicht vorquellenden Augen, von denen eines geschwollen war, die markante Kopfform des Gelehrten, seine schlanken Finger, die schmutzig waren und nervös zuckten â all das deutete auf Alberto Mari. Andererseits hatte der abgemagerte Mann mit den eingefallenen Wangen und dem traurigen Gesichtsausdruck kaum noch Ãhnlichkeit mit dem vor Geist sprühenden Humanisten, den sie zuletzt auf Connuccis Fest gesehen hatte. »Alberto Mari?«, flüsterte sie zaghaft.
Der päpstliche Sekretär versuchte zu lächeln, wobei er eine Zahnlücke zeigte und dann verschämt eine Hand vor den Mund hielt. Er wollte aufstehen, war aber anscheinend zu geschwächt, und nickte schlieÃlich mit dem Kopf. »Madonna, ich hatte gehofft, Euch hier zu finden.«
Ricardo winkte eine Magd heran. »Bring Essen für den Signore und Wein. Dann bereite ein Bad vor, und lass ein Gästezimmer herrichten.«
»Danke, Ricardo.«
»Ihr könnt Euren Gast mit in einen der Salons nehmen â¦Â«
Doch Mari winkte ab. »Nein. Hier passe ich im Moment am besten her. Schaut mich doch an, ein Bettler ist sauberer als ich.«
Die Magd brachte einen frischen Krug mit Wein, und Beatrice setzte sich dem Gelehrten gegenüber, dem das Schicksal so übel mitgespielt hatte. Sie wartete, bis er gegessen hatte und seine Wangen eine gesündere Farbe angenommen hatten. Während er aÃ, bemerkte sie die dunkelrote, wunde Haut an seinen Handgelenken, Spuren von Fesseln. Aus seinem geschwollenen Auge sickerte gelbliche Flüssigkeit. Der Bedauernswerte bedurfte dringend medizinischer Hilfe. Ein Jammer, dass weder Plantilla noch Ansari in der Nähe waren. »Was um alles auf der Welt hat Euch in diesen erbarmenswerten Zustand gebracht? Wer hat Euch das angetan?«
Der Sekretär legte den Löffel ab und wischte sich den Mund. Einen solch köstlichen Fleischeintopf hatte er seit Wochen nicht gegessen. Mit einem Schluck Wein spülte er die Reste hinunter und versuchte, Zeit zu gewinnen. »Madonna, das ist eine merkwürdige Geschichte. Ich verstehe sie selbst nicht.« Ratlos schüttelte er den Kopf, von dem die spärlichen grauen Haare starr vor Schmutz abstanden. Wie konnte er sie, die ihn vertrauensvoll anblickte, belügen? Doch die Angst um das eigene Leben war gröÃer. Er wusste nicht, wer ihn gefangen gehalten hatte. Es könnte auch ihr Ehemann gewesen sein, der ihn hier beobachten lieÃ. Wie ein Kaninchen in der Falle, dachte Alberto Mari und nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher.
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Am Abend desselben Tages wanderte Beatrice mit Alberto Mari langsam durch den Laubengang hinunter in den Garten. Dank der medizinischen Kenntnisse des Verwalters, der sich um die Pferde, Fasane und Falken der Buornardis kümmerte, waren die Blessuren des Sekretärs hinreichend versorgt worden. Glücklich tupfte Mari sich jetzt hin und wieder etwas Nelkenöl auf den herausgebrochenen Zahn, von dem noch ein Stück im Kiefer steckte, doch einer Extraktion fühlte er sich momentan nicht gewachsen. Ein Verband mit einer desinfizierenden Salbe verdeckte sein verletztes Auge, und Lorenza hatte groÃzügig gestattet, dem Sekretär mit Kleidungsstücken ihres verstorbenen Gatten auszuhelfen.
»Ich stehe tief in Eurer Schuld, Madonna.«
»Ich habe nichts getan, was Ihr nicht auch für mich getan hättet, wäre ich an Eurer Stelle gewesen.« Sie zog sich den Schal enger um die Schultern. Es fröstelte sie, aber das konnte auch an Maris Geschichte liegen, an der sie etwas zunehmend störte. Er hatte erzählt, dass ein Unbekannter ihn in einem Verlies festgehalten und gefoltert hatte, um von ihm zu erfahren, wer der Verbündete des Papstes in Lucca war. Wieder ging es um den Brief des Legaten. Nur jemand, der den Brief kannte, wusste um den geplanten Verrat an Lucca. Wer auÃer Federico und Tomeo kannte den Inhalt des Briefes? Keiner von beiden hätte Mari gefangen gehalten. An der Entführung verwunderte sie, dass man Mari hatte laufen lassen. Warum hatten sie ihn nicht getötet, nachdem er ihnen nichts hatte sagen können? Oder hatte er womöglich doch etwas verraten? Und wenn nicht, was war dann der Preis für seine Freiheit gewesen? Sie warf ihm
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