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Die Tochter des Tuchhandlers

Titel: Die Tochter des Tuchhandlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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für Mailand festgelegt. Sobald Ihr Euren Marschbefehl habt, könnt Ihr zurück zur Truppe. Die Söldner werden sich freuen.« Ein Nachtfalter flatterte durch das Fenster und setzte sich auf den Kerzenleuchter. Pescara griff sich mit zusammengebissenen Zähnen an die Seite. Dort war er von einem Schweizer mit der Lanze verwundet worden.
    Â»Werdet Ihr hierbleiben?«
    Pescara ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Mailand ist mein Schicksal.«
    Tomeo sah, dass der Markgraf seinen Gedanken nachhing, und erhob sich. »Danke für Euer Vertrauen. Ich wünsche Euch eine gute Nacht und erwarte weitere Befehle, comandante .«
    Der Falter flatterte lautlos davon, und das einzige Geräusch, das die Nacht durchschnitt, war das Hämmern des Schmieds auf seinem Amboss.

XXII
    Zerstörte Träume
    Melodischer Gesang, helles Glockenspiel und die Klänge einer Laute wehten wie aus weiter Ferne durch den Raum. Beatrice schlug die Augen auf und fühlte sich das erste Mal seit Wochen schmerzfrei. Vorsichtig glitt ihre Hand unter dem Laken zu ihrem Bauch und tastete nach dem Verband. Erstaunt fuhr sie nach links und rechts, doch außer glatter Haut und einer Narbe war nichts zu fühlen. Sie lüftete das Laken und betrachtete ihren Körper, der mager geworden war. Ihre Hüftknochen stachen hervor, der Bauch war eingefallen, und die Rippen zeichneten sich sichtbar ab. Aber der Verband war fort und die Narbe, die sich quer über ihren Unterbauch zog, trocken und geschlossen.
    Beatrice sank zurück. Sie hatte überlebt. Sie hatte überlebt, aber sie war allein. Ihre Eltern waren tot. Grausam dahingemetzelt von umherstreunenden Söldnern, denen nichts heilig war. Verzweifelt drehte Beatrice sich auf die Seite und schaute zum Fenster, das geschlossen war. Der Sommer war vorbei, die Ernte eingebracht, und die Menschen im contado bereiteten sich auf den Winter vor. Die Erinnerungen kamen zurück und überfielen sie wie eine Schar dunkler Schatten aus einem Albtraum.
    Weil ihre Gesundheit es nicht erlaubte, hatte man sie in Matraia belassen. Die anderen waren zurück nach Lucca gezogen. Lorenza, Federico und die meisten Diener, Knechte und Mägde, die aus Lucca mit aufs Land gekommen waren, sie alle waren zurück in die Stadt gegangen. Obwohl sie gern an der Messe zu Ehren ihrer Eltern in San Michele teilgenommen hätte, wusste sie doch, dass sie zusammengebrochen wäre, und ihren Tod hätte sie ihrer Tochter gegenüber nicht verantworten können. Wer kümmerte sich dann um Giulia, ihren kleinen Engel mit den himmelblauen Augen?
    Vorsichtig setzte Beatrice sich auf, schwang die Beine über die Bettkante und griff nach einem Pfosten, während sie aufstand. Die ersten Schritte brauchten Zeit, und sie fühlte sich unsicher, doch als sie das Fenster erreichte, hatte sie ihr Körpergefühl wiedergefunden und riss die Flügel auf, um frische Luft hereinzulassen. Die Kälte traf sie unvorbereitet. Ein Schauer erfasste sie. Zitternd nahm sie einen Umhang von einem Stuhl und legte ihn sich um. Mit klappernden Zähnen stellte sie sich erneut ans Fenster und sah in den Garten hinunter. Die Grünflächen hatten ihre satte Farbe verloren, die meisten Bäume, bis auf die immergrünen Gewächse, waren ohne Laub, und feuchte Nebelschwaden zogen durch die verlassene Parkanlage.
    Als sie sich vom Anblick des herbstlichen Gartens abwandte, fiel ihr Blick auf einen Brief, der offen auf dem Tisch lag. Sie erinnerte sich, dass Ines ihr daraus vorgelesen hatte. Er war von ihrem Onkel.
    Liebste Beatrice, es fällt mir unendlich schwer, Euch in diesem Moment zu schreiben, denn der Verlust Eurer Eltern bedeutet den Verlust meiner geliebten Schwester Margareta. Vor wenigen Monaten erst musste ich meinen Sohn zu Grabe tragen, und nun Margareta, Eure teure Mutter, und Jacopino, einen herzensguten Ehemann, Vater und Schwager. Über die Umstände kann und will ich nicht sprechen, stellen sie doch alles, für das ich mein Leben lang gekämpft habe, in Frage. Kann es recht sein, dass ein Krieg solche Opfer fordert? Nein ist die einzige mögliche Antwort. Die Edlen, die Guten und Ehrenhaften sterben, während die Verderbten weiterleben und vom Töten profitieren.
    Was bleibt, sind die Erinnerungen und das Angedenken, das wir ehren. Ihr seid das Abbild Eurer Mutter, Beatrice. In Euch vereinen sich alle edlen und tugendhaften Eigenschaften von Margareta und

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