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Die Tochter des Tuchhandlers

Titel: Die Tochter des Tuchhandlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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eng, dass sie nur hintereinander gehen konnten. Es roch nach ranzigem Fett, Kohl und Urin. In den vorderen Räumen, die eher kleinen Löchern als Wohnräumen ähnelten, befanden sich Werkstatt und Verkaufsraum, dahinter lagen die Küche und zwei Zimmer, in denen sich ein Dutzend Menschen drängte.
    Vico stand in der Tür und seufzte, als er sie entdeckte. » Giudice , ein Glück, dass Ihr kommt. Die Kinder müssen sich erleichtern, der Siebmacher will uns verklagen, und alle anderen schreien durcheinander!«
    Niccolò erfasste die Gruppe mit einem Blick. »Ruhe!«
    Augenblicklich verstummte die kleine Gesellschaft. Beatrice konnte Giulia nirgends entdecken. Zwei Mädchen krabbelten auf dem Boden herum, ein Junge schlug mit einem Stein auf ein Stück Holz ein, die anderen Kinder waren zwischen acht und zehn Jahren alt, und keine der Frauen hielt einen Säugling im Arm. Ein grimmiger Mann mit roter Nase und schwieligen Händen trat vor.
    Er stank nach Alkohol und Schweiß. »Was wollt Ihr? Ich bin ein rechtschaffener Mann und habe alle Steuern bezahlt, auch wenn meine Familie dadurch Hunger leiden muss und ich nicht weiß, ob meine kranken Eltern den Winter überstehen, weil wir keine Kräutermedizin kaufen können!«
    Â»Wir sind nicht wegen der Steuern hier. Wo ist das Kind des Lucchesers?« Niccolò wurde ungeduldig. Die Enge in dem Raum war unerträglich. »Mein Gott, öffnet ein Fenster!«, befahl er.
    Eine beleibte Frau, die Siebmachergattin, erhob sich. Ihr Kleid spannte über hervorquellenden Brüsten, die geschwollenen Beine sahen unter dem eingerissenen Rock hervor, man konnte nicht sagen, ob sie nur fett oder schon wieder schwanger war. Warzen verunstalteten Wangen und Mund, und strähniges Haar hing aus ihrem Zopf. »Ich geh das Gör holen. Macht nur Ärger. Eh, Pietro, habe ich nicht gesagt, lass es bleiben, aber du weißt ja alles besser. Der Kerl war ein Halunke, kein feiner Herr, wie du glauben wolltest. Ich kenn mich aus mit Gesindel, hab schließlich welches geehelicht …« Sie zog lautstark die Nase hoch und schlurfte aus dem Raum.
    Â»Halt den Mund! Er hat uns mehr Geld gezahlt, als wir je in einem Monat mit den Sieben verdient haben!«, schnauzte der Ehemann.
    Â»Ja, aber nur, weil du zu dumm zum Handeln bist und säufst wie ein Loch …«, keifte die Siebmacherfrau von hinten.
    Beatrice hielt es nicht länger aus. Diese Frau durfte ihre Tochter nicht noch einmal anfassen. Allein der Gedanke war unerträglich. Ohne auf die anderen zu hören, rannte sie hinter der Frau her, die eine enge Treppe hinaufgestapft war. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, als sie die letzte Stufe nahm und in eine Kammer trat, in der auf einer breiten Bettstatt ein regloses Bündel lag. Es gab nur ein kleines Fenster, und auf dem Boden stand ein stinkender Nachttopf. Zwischen den Mauerritzen ragte Stroh hervor, und es war kalt und feucht. Die Siebmacherfrau schlurfte zum Bett und wollte sich bücken, doch Beatrice stürzte sich wie eine Furie auf sie.
    Â»Fass sie nicht an!«, zischte sie, dass die Frau augenblicklich zusammenfuhr. »Giulia! Giulia?«, schluchzte Beatrice und nahm das Bündel in die Arme. Vorsichtig zog sie das Tuch zur Seite, welches das Gesicht des Kindes halb verdeckte, und stieß einen Schrei aus. Es war ihre Tochter, aber wie sah sie aus! Sie atmete, doch die Wangen waren rot und heiß von Fieber, die Augen, die sich nicht öffnen wollten, verklebt von eitrigem Sekret und die Haare schmutzig und voller Läuse.
    Â»Wir haben ihr nichts getan! Was macht Ihr so’n Gewese? Ist ein Kind. Ich krieg schon das zwölfte Balg. Sind gut zum Arbeiten, aber sonst doch nur unnütze Fresser. Ich hoffe nur, das nächste wird nicht wieder ein Mädchen …« Die hässliche Frau strich sich achtlos über den Leib. »Aber ich will Euch was erzählen, was der alte Hurensohn da unten nicht zu wissen braucht. Vor zwei Nächten war ein Kerl hier, einer von der ganz üblen Sorte, die hört man nicht, und schon ham sie dir die Kehle aufgeschlitzt. Der ist die Wände raufgeklettert wie’ne Katze und hat uns angestarrt im Dunkeln. Pietro hat geschnarcht, weil er wieder Würfel gespielt und gesoffen hat, aber ich hab gesehen, wie der Kerl das Kind da angefasst hat. Hab gedacht, er will es mitnehmen, gibt ja so Perverse. Aber er hat was gesucht, was bei dem Kind war.«

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