Die Tochter des Tuchhandlers
das Kontor und trat in den Hof hinaus.
In der Stadt war eine unterschwellige Spannung spürbar, die von dem Disput zwischen der katholischen Kirche und der wachsenden Luther-Anhängerschaft ausging. Ãfter als sonst gerieten Leute auf der StraÃe in Streit, weil ein Heiliger vermeintlich beleidigt worden war oder jemand vom Erfolg der Bibelübersetzung gesprochen hatte. Beunruhigend fand Beatrice auch die steigende Zahl von Frauen, die an den Pranger gestellt wurden, weil sie gotteslästerlich gelebt hätten. Aber es war gefährlich, das frömmlerische Gebaren der Leute zu kritisieren. Agozzinis Tod hatte Ãl in die Feuer des Bischofs von Lucca gegossen. Er hielt sich viel öfter als üblich in Lucca auf, um seine Priester zu hetzerischen Predigten anzustacheln, und das Volk war leicht zu beeinflussen.
Denn es brodelte in den unteren Schichten, auch wenn die Wohlhabenden ihre Augen davor verschlossen. Beatrice spürte die Veränderung in den Blicken der Armen, die ihr nicht mehr den üblichen Respekt entgegenbrachten, indem sie den Weg freigaben und sie grüÃten. Eine Verzögerung hier und da, Augenkontakt, der ein wenig länger dauerte, bevor die Lider ehrerbietig gesenkt wurden. Je öfter Beatrice darüber nachdachte, desto gröÃer wurde ihre Furcht. Die Familie ihres Vaters in Florenz hatte erlebt, was geschehen konnte, wenn das Volk von einem charismatischen Prediger verleitet wurde. Ãbertriebene Frömmigkeit und gesteigerter Glaubenswahn waren damals die Vorboten der Katastrophe gewesen, deren Auslöser der Dominikanermönch Savonarola gewesen war. Er hatte die damalige Invasion von Karl VIII. nach Italien vorhergesagt, die Medici zu Fall gebracht und gegen Sittenlosigkeit und moralischen Verfall gewettert. Geendet hatte alles in blutigem Chaos. Angst vor Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen hatten die Menschen weitaus schlimmer drangsaliert als die Herrschaft der Medici zuvor.
Beatrice nagte an ihren Knöcheln. Die Angst vor dem fremden Herrscher an den Grenzen Italiens und die gröÃer werdende Not der Armen hatten Savonarolas Erfolg möglich gemacht. Standen die Vorzeichen heute nicht ähnlich? Die Seidenweber hatten sich wiederholt beim GroÃen Rat über die schlechte Entlohnung beschwert. Erfolglos, denn die Seiden- und Tuchhändler beherrschten den Rat und die Stadt. Noch konnte die herrschende Klasse damit argumentieren, dass ihre Zahlungen an den Kaiser Lucca beschützten, aber wie lange noch?
AuÃerdem wurde in Spanien die Frömmelei auf die Spitze getrieben. Sondergerichtshöfe, die nur der Verfolgung von Ketzerei dienten, waren dort wieder gängige Praxis. Unwillkürlich fröstelte Beatrice. Allein der Gedanke an die Inquisition löste Ãbelkeit in ihr aus. Wie konnte Karl die schrecklichen Methoden der Inquisition gutheiÃen? Aber er war überzeugter Katholik. O Madonna, dachte Beatrice, wohin steuert dieser Krieg? Und was hatte Mari herausgefunden? Seit dem Fest des Marchese hatte sie ihn nicht mehr gesehen. War er überhaupt noch in Lucca?
Vor der Küchentür saà Alba auf einem Schemel und rupfte ein Huhn. Ihre missmutige Miene hellte sich auf, als sie Beatrice sah.
»Du bist ein fleiÃiges Mädchen, Alba.«
Die Kleine rümpfte die Nase. »Hühner stinken. Ich mag das nicht. Kann ich nicht etwas anderes tun?« Ihre Haare waren zu einem Zopf geflochten, und ihr magerer Kinderkörper hatte ein wenig Fleisch angesetzt. Aus Alba würde eine hübsche junge Frau werden, für die Beatrice einen guten Mann finden wollte.
»Wenn du einmal heiratest, musst du kochen können, und das Rupfen von Hühnern gehört dazu«, belehrte Beatrice sie.
»Ihr arbeitet auch nicht in der Küche â¦Â«, murrte die Kleine und lieà das Huhn auf die Erde sinken.
Plantilla kam mit einem Eimer Grütze aus der Tür und gab dem Mädchen eine schallende Ohrfeige. »Du undankbares, freches Ding! Was fällt dir ein, so mit der Signora zu reden. Wenn sie dich nicht aus deinem elenden Loch geholt hätte, wärst du heute schon in der Via del Fosso und in zwei Jahren genauso eine Hure wie deine Mutter!«
In der Via del Fosso befanden sich die Färbereien und die Bordelle der Stadt, beide Einrichtungen lagen im hässlichsten Viertel am Kanal. Alba kniff die Augen zusammen und riss dem Huhn mit aller Gewalt die Federn aus. »Du bist eine dumme Köchin und
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