Die Tochter des Tuchhandlers
im Innern der Kiste hatte seinen Finger verletzt.
Mit seinem noch intakten Auge betrachtete er den geschwollenen Finger, wo sich der kleine Riss entzündet hatte. Die Namen! Ja, jetzt sah er den verräterischen Vertrag wieder vor sich, in dem sich die Poggios, Ser Gottaneri, Ser Valori, Ser Quilici und ⦠Er grübelte, doch den letzten Namen hatte er vergessen. Diese Luccheser, angesehene Ratsmitglieder, hatten sich den Poggios angeschlossen, um den Umsturz der Republik zu bewirken. Warum? Ständig fragte er sich das. Welchen Grund konnte es dafür geben, eine bequeme Position, Ansehen und Reichtum aufs Spiel zu setzen? Eigentlich war er davon ausgegangen, dass er bei seinem Schnüffeln nicht beobachtet worden war. Im Nebenzimmer war er Beatrice und dem Marchese begegnet, hatte der Tochter der Rimortellis nur eine Andeutung seiner Entdeckung gemacht. Nein, nicht Beatrice. Ihre Familie war kaisertreu, Jacopino sein Freund. Connucci war mit ihr zusammen gewesen, konnte also nichts gesehen haben, und dann war Bernardina dazugekommen und hatte sich um ihn gesorgt. Eine taktvolle, kluge Frau. Er mochte sie. Ein Jammer nur, dass eine so begabte Frau aus dem Geschlecht der Chigis von Siena nicht mit ein wenig mehr Anmut gesegnet worden war. Nachdem er seine Suppe gegessen hatte â ein Jammer, denn danach hatte er nur wenig Raum für die Köstlichkeiten des prachtvollen Buffets gehabt -, war er in den Festsaal zurückgekehrt, hatte sich unterhalten und war irgendwann zu später Stunde durch den Park spaziert. Er war nicht der Einzige gewesen, der die Abgeschiedenheit der Natur aufgesucht hatte, in eines der kleinen Lusthäuschen hatte sich ein Paar zurückgezogen, um sich ungestörter Zweisamkeit hingeben zu können. Zwischen mannshohen Buchshecken hatte ihn dann von hinten ein Schlag auf den Kopf getroffen, und als er das nächste Mal die Augen aufgeschlagen hatte, war dieses Verlies zu seinem Gefängnis geworden.
Vor der Kerkertür ertönten Geräusche. Schlüssel rasselten, Stimmen näherten sich. Alberto Mari erzitterte und schlich furchtsam in die hinterste Ecke seines Verlieses, aus dem es kein Entrinnen zu geben schien.
Die schwere, eisenbeschlagene Tür schwang lautlos auf und schlug gegen die Zellenwand. Im diffusen Licht des tiefen Raumes erkannte er zuerst den Wärter, einen abgestumpften Mann in den Vierzigern, dessen kantiges Gesicht nicht auf Mitleid hoffen lieÃ. In seiner abgewetzten Lederjacke, dem schmutzigen Hemd und mit dem schäbigen Degen an seinem einfachen Gürtel wäre der Wärter für ein Schmiergeld sicher empfänglich gewesen, aber man hatte Mari seinen Gürtel samt Börse und Dolch abgenommen.
»Eh, segretario , hast du dich erholt?« Seine beiden Folterknechte traten gut gelaunt durch die Tür.
Alberto schluckte. Die beiden jungen Männer waren einfache, brutale Burschen, deren Handwerk das Erpressen von Geständnissen und das Töten war. Ihrem Dialekt nach stammten sie aus dem Norden, doch er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Man hätte ihn über eine weite Strecke transportiert haben können, ohne dass er das gemerkt hätte. Im Palazzo des Marchese war er jedenfalls nicht mehr, denn er kannte das Gebäude von früheren Besuchen. AuÃerdem war der Marchese sein Freund oder zumindest ein wohlgesinnter Gönner. Einer, der seinen Wortwitz und seine Belesenheit schätzte und ihn schon bei vielen Gelegenheiten eingeladen hatte. Genau wie bei Jacopino Rimortelli war Politik nur am Rande ein Thema gewesen. Connucci liebte es, Gedichte zu rezitieren und sich über die neuesten Kunstwerke in Rom und Florenz zu unterhalten. Nein, Connucci hielt ihn nicht hier gefangen.
» Signori , ich bin ein alter Mann. Noch eine Tortur überlebe ich nicht. Ich würde alles gestehen, aber ich weià nichts! Beim Grab des heiligen Petrus, bei allen Heiligen, so glaubt mir doch!«
Sein Flehen erntete nur ein schwaches Grinsen bei seinen Peinigern. Im Gürtel des einen steckte eine Peitsche, der andere trug eine Zange, die er vielsagend hin- und herdrehte.
Maris Knie wurden weich, und Todesangst schnürte ihm die Gedärme zusammen. »Nein«, stammelte er und konnte nicht verhindern, dass ihm der eigene Urin die Beine hinablief, seine Hose nass an den Schenkeln klebte und sich eine Pfütze zu seinen FüÃen bildete. Wimmernd sank er auf die Knie und barg das geschundene Gesicht in
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