Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
gereizt,
auf Vicos Vorschlag einzugehen. Auch wenn sie sein Stimmungsumschwung misstrauisch
machte. Am Morgen hatte er sie mit einem freundlichen Lächeln im Kontor begrüßt
und sie im Plauderton gefragt, ob sie denn wisse, wie die Stoffe, die sie verkauften,
hergestellt wurden. Sein Angebot, ihr eine Ulmer Weberwerkstatt zu zeigen, mit der
sein Vater seit jeher zusammenarbeitete, konnte sie kaum ausschlagen. Zu groß war
ihre Neugier. Dennoch blieb sie vorsichtig. Es wäre zu einfach gewesen, anzunehmen,
dass Vico endlich eingesehen hatte, wie wertvoll ihre Arbeit im Kontor war. Zwar
hätte das ihre Sorgen auf schnellem Weg gelöst, sie wusste aber, dass die einfachen
Dinge meist einen Haken hatten. Wie ein knackiger roter Apfel, dem man von außen
nur an einem kleinen Loch ansehen konnte, dass er innen wurmstichig war.
»Ich möchte
Euch meine Schwägerin vorstellen«, begrüßte Vico den Weber, der gut einen Kopf kleiner
war als er und in dessen ergrauten Bart sich dunkle Strähnen mischten. Der Mann
musterte Jolanthe, so als frage er sich, was ein Weib bei ihm in der Werkstatt zu
suchen habe.
»Seid gegrüßt«,
sagte Jolanthe höflich, ohne sich durch seinen kritischen Blick verunsichern zu
lassen. Sie kannte diese Reaktion nur zu gut und hatte irgendwann aufgehört, sich
daran zu stören. Es dauerte meist nicht lange, dann nahmen ihre Gegenüber sie ernst.
»Sie ist
in Vertretung meines Schwiegervaters mitgekommen«, fuhr Vico fort. »Soll sich anschauen,
wie Ihr so wirtschaftet, schließlich wollen wir weiter Geschäfte mit Euch machen.«
»Mein Vater
kauft Leinen bei den Biberacher Webern. Ist das nicht viel billiger?«
Vico verschränkte
die Hände vor dem Bauch, als wisse er nicht wohin damit. Genauso wenig schien er
mit ihrem Einwurf umgehen zu können.
»Biberacher
Weber.« Der Mann spuckte aus. »Die machen es vielleicht billiger, aber besser sicher
nicht.«
»Seht«,
Jolanthe setzte ihr Lächeln auf und spürte, wie sie an Boden gewann. »Ihr müsst
den Rohstoff auf dem Markt kaufen. Die Biberacher aber haben größere Manufakturen
und damit mehr Möglichkeiten. Sie stellen das Garn selbst her. Sind also billiger,
denn so weit außerhalb der Stadt haben sie weniger Abgaben, und zudem machen sie
sich gegenseitig Konkurrenz. Das drückt den Preis.«
»Und der
Transport?«, mischte sich Vico ein.
»Fällt in
den Kosten geringer aus. Man darf nur nicht vergessen, ihn zu berechnen«, gab sie
zurück und musste zugeben, dass sie den kleinen Triumph genoss. Vico hatte sie lange
genug gegängelt, er sollte nicht glauben, dass ein wenig Freundlichkeit von seiner
Seite alles wieder gutmachen würde. Nein, sie misstraute ihm und fand das richtig
so.
»Dann will
ich Euch zeigen, wie ein Ulmer Weber so arbeitet.« Der Mann führte sie vorbei an
fertigen Tuchballen, die bereits ein städtischer Aufseher mit Bleiplomben versiegelt
hatte und die nun darauf warteten, ins Handelshaus gebracht zu werden. Weitere Tuchballen
lagen nur lose verschnürt herum. Jolanthe fiel das auf, und sie wunderte sich darüber.
»Warum sind
diese Tuche hier unterschiedlich behandelt, die einen versiegelt, die anderen nicht?«
Der Weber
strich mit der flachen Hand über den Stoff, dann sah er sie an, und sie hatte das
Gefühl, sein Ton war ein bisschen freundlicher als vorher.
»Ihr habt
einen guten Blick. Der wird Euch vielleicht auch die Antwort geben auf Eure Frage.
Tretet näher, fasst beide Stoffe an.«
Jolanthe
tat wie geheißen und strich über einen versiegelten Ballen, dann über einen unversiegelten.
Letzterer schien ihr rauer, gröber als der andere.
»Die Gesiegelten
sind von höherer Qualität?«, fragte sie aufs Geratewohl.
»Und deshalb
gehen die anderen an die Färberei. Sie werden gebleicht oder eingefärbt.«
Interessant,
dachte sie bei sich und war Vico nun doch dankbar dafür, dass er sie hergebracht
hatte. Er hatte recht, wenn man mit etwas handelte, sollte man über dessen Herstellung
und Beschaffenheit informiert sein, es reichte nicht, seine Nase nur in die Bücher
zu stecken. Sie spürte einen Anflug von schlechtem Gewissen für ihren Seitenhieb
gegen ihn von vorhin. Warum auch immer er plötzlich so freundlich zu ihr war, Häme
hatte er nicht verdient. Jeder machte einmal einen Fehler, auch Vico sollte für
seine nicht zu sehr bestraft werden. Solange sie sich nicht häuften.
Sie betraten
einen weitläufigen Raum, in dem sich drei Webstühle befanden, an dem junge Frauen
arbeiteten. Der Weber
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