Die Todesbotschaft
Wahrung ihrer Geheimnisse mit Sicherheit tief ins Portemonnaie greifen.«
Adrian schlang die Arme wie zum Schutz um seinen Brustkorb. »Was glaubst du, in welcher Weise wir alle davon profitiert haben? Ich meine, hat mein Vater mein Studium mit solchen Erpressungsgeldern finanziert? Oder das Auto, das er mir zum achtzehnten Geburtstag geschenkt hat? Die Stereoanlage, die ich mir mit vierzehn zu Weihnachten gewünscht hatte?« Er gab ein gurgelndes Geräusch von sich. »Wenn es irgendetwas bringen würde, würde ich jetzt kotzen.«
Ich ging zu ihm und legte die Arme fest um ihn. Adrian ließ seine Stirn auf meine Schulter sinken und blieb einen Moment lang so stehen, bis er sich aus meinen Armen löste und ruhelos auf und ab ging.
»Die müssen sich völlig sicher gefühlt haben«, meinte er mit einem Anflug von Staunen. »Keiner von denen, die hier ausspioniert wurden, würde je Anzeige erstatten. Die haben alle viel zu viel zu verlieren. Zwar kannst du theoretisch mit Strafverschonung rechnen, wenn das, was du selbst getan hast, vor dem Gesetz weniger schwer wiegt als dieses Ausspionieren und die Erpressung. Aber die Öffentlichkeit wird dich nicht verschonen. Wenn ruchbar wird, was du zu verbergen hast, kannst du einpacken. Deine Karriere geht den Bach hinunter, dein Ruf ist dahin, und deine bisherigen Weggefährten fassen dich nicht mehr mit der Kneifzange an. Nicht zuletzt dreht es sich bei solchen Leuten aber auch um sehr viel Geld.«
Wir sahen uns an und dachten beide das Gleiche, wobei ich es in Worte kleidete: »Eines dieser zahllosen Bänder handelt von jemandem, der sich nicht hat erpressen lassen, der Gegendruck aufgebaut hat. Und zwar mit angekündigten und schließlich auch ausgeführten Morden. Es muss jemand sein, der noch skrupelloser ist als unsere Väter. Das meinte jedenfalls dein Vater.«
»Noch skrupelloser?«, fragte Adrian. »Wann hat er das gesagt?«
»Als wir uns im Krankenhaus unterhielten. Du warst gerade in der Cafeteria.«
»Was genau hat er gesagt?«
»Dass es ihnen um Macht gegangen sei und sie dafür Tabus gebrochen hätten. Sie …«
»Das war doch ein Bluff deinem Vater gegenüber gewesen.«
Ich hob die Schultern und legte den Kopf schief. »Hätte ich es dir direkt nach Carls Tod sagen sollen?«
*
Finja würde bald ihren siebten Geburtstag feiern. Sechseinhalb Jahre lang hatte Gesa ihre Tochter nun nicht mehr gesehen. Es verging kein Tag, an dem sie nicht an ihr Kind dachte, an dem sie nicht betete, dass es ihm gutging und es ein unbeschwertes Leben führte. Unbelastet von den Schatten der Vergangenheit.
Für Gesa hatten sich diese Schatten nie aufgelöst. Im Gegenteil: Sie hatten sich das Drohende bewahrt, das ihnen aus Gesas Unfähigkeit sich zu erinnern erwachsen war. Kein einziges Bild aus jener Nacht hatte es je aus ihrem Unterbewusstsein bis an die Oberfläche geschafft. Sosehr sie selbst immer noch an diese Erinnerungen heranwollte, sosehr wünschte sie sich, dass sie Finja erspart blieben.
Längst hatte sie ihre Lehre als Kirchenmalerin beendet und war von ihrem Lehrmeister fest angestellt worden. Ihre Kollegen hatten sich mit der Zeit daran gewöhnt, dass sie nicht viel redete und an einem Kontakt fernab ihrer Arbeit kein Interesse zeigte. Sie verdiente genug für ein bescheidenes Leben in einer der Zweizimmerwohnungen eines wenig ansehnlichen Wohnsilos. Alles in allem war es genau das, was sie sich von ihrem Untertauchen erhofft hatte.
Nur dem Plan, ihre Tochter wiederzusehen, war sie nicht viel näher gekommen. Ihr fehlte ganz einfach der Mut. Zu groß war immer noch die Angst, Alexander könne sie entdecken und alle ihre Hoffnungen zunichtemachen. Bis zu dem schicksalhaften Tag, an dem Eva-Maria Toberg ihren Weg kreuzte und sich in ihr Leben drängte. Das neunzehnjährige ehemalige Heimkind finanzierte seinen Drogenkonsum mit seltenen Gelegenheitsjobs und häufiger Straßenprostitution. Für Essen und ein Zimmer blieb so gut wie nichts übrig.
An dem Tag, an dem sie der sechs Jahre jüngeren Frau begegnete, hatte Eva-Maria Grippe und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Zusammengekauert und am ganzen Körper zitternd hockte sie in Gesas Hauseingang neben einem Koffer, der all ihre Habseligkeiten enthielt. Gesa wollte schon an ihr vorbeigehen, als etwas in ihrer Haltung, in ihrem Gesichtsausdruck sie an eine ihrer damaligen Mitpatientinnen in der Nervenklinik erinnerte. So blieb sie stehen, während die andere in ihrem erbarmungswürdigen Zustand die
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