Die Todesbotschaft
Die Vorstellung, sich nicht einmal mehr bei seinem Psychotherapeuten oder im eigenen Schlafzimmer in Sicherheit wiegen zu können, ohne dabei von einem unsichtbaren Dritten belauscht zu werden, der sich einen Dreck um einen richterlichen Beschluss schert, macht mir totale Angst.«
»Die haben sogar Beichtstühle verwanzt«, sagte ich und trank in wenigen Schlucken mein Wasserglas leer.
»Beichtstühle, sagst du?« Eva-Maria wechselte von der Schaukel in den Sitzsack, umschlang ihre Knie und schwieg. »Beichtstühle«, wiederholte sie schließlich das Wort, als habe sie es mit einer Halluzination zu tun.
»Wenn ich mir vorstelle, mir würde so etwas passieren … Ich würde mich völlig nackt fühlen. Komplett ausgeliefert. Ich würde wahrscheinlich nie wieder in meinem Leben darauf vertrauen, dass es Grenzen gibt, die eingehalten werden.«
Eva-Maria sah mich an wie einen Geist. »Stimmt das wirklich mit den Beichtstühlen?«
»Ja.« Während ich auf das Essen starrte, von dem wir so gut wie nichts angerührt hatten, und ich uns schließlich die Gläser mit Wasser nachfüllte, erzählte ich ihr von der Auseinandersetzung mit meinem Vater. Als ich aufsah, stellte ich fest, dass sie mir nicht zuhörte. »Eva?«
Es dauerte eine Weile, bis sie reagierte. »Entschuldige, was hast du gesagt?«
Ich begann noch einmal von vorne, um damit zu schließen, dass ich ihm nicht glaubte. »Meine gesamte Kindheit hindurch war mein Vater mein Fels in der Brandung. Das beschreibt am besten die Stärke, die er mir vermittelt hat. Ich habe mich bei ihm geborgen gefühlt. Hättest du mich gefragt, ob mein Vater ein anständiger Mensch ist, hätte ich bis vor kurzem immer mit Ja geantwortet.«
Eva-Maria zeigte auf die DVD s. »Du musst ihn und diesen Tobias anzeigen, Finja.«
Jetzt war ich diejenige, die die Arme vor der Brust verschränkte. »Das kann ich nicht. Er ist mein Vater.«
»Und wie willst du sicherstellen, dass die beiden damit aufhören?«, fragte sie. »Meinst du, die Gier nach Macht und Geld hört im Alter auf? Das Alter akzentuiert Charakter und Temperament eher noch. Und ich glaube kaum, dass sich dein Vater und sein feiner Partner durch Adrian und dich in die Schranken weisen lassen. Nach allem, was ich heute Abend gehört habe, gebe ich dir Brief und Siegel darauf, dass sie das Material nicht vernichtet haben. Und sie werden versuchen, die von euch geklauten DVD s zurückzubekommen. Übergib sie so schnell wie möglich der Polizei. Du kannst die beiden damit nicht ungeschoren davonkommen lassen.« Sie setzte sich wieder mir gegenüber auf das Bodenkissen. »Glaubst du, deine Mutter weiß, was da in all den Jahren vor sich gegangen ist?«
»Ich kann es mir nicht vorstellen.« Aber was hieß das schon? »Apropos Mutter …«, sagte ich und holte den Gesa-Ordner aus meinem Schlafzimmer. »Den hat mein Vater all die Jahre vor mir versteckt.« Ich strich kurz darüber, bevor ich ihn aufschlug und meiner Freundin reichte.
Sie blätterte vor, dann wieder zurück, um ganze Passagen zu lesen. Es war völlig still im Raum, nur ihr Atmen war zu hören, immer wieder durchbrochen durch ein Stöhnen. Auf halber Strecke schlug sie den Ordner zu und starrte mich sprachlos an.
»Das sind Kopien von Gesprächsprotokollen aus der Nervenklinik, in der meine leibliche Mutter ein paar Wochen lang war«, sagte ich überflüssigerweise. »Ich weiß, was du jetzt denkst. Dass mein Vater schon vor über dreißig Jahren keine Skrupel hatte, sich höchst vertrauliche Informationen zu beschaffen. Aber für mich bedeuten sie sehr viel. Meine Eltern sind nur darauf herumgeritten, dass Gesa versucht hat, mich zu töten. Aber niemand hat mir gesagt, dass sie sich um mich gesorgt hat. Dass sie mich vermisst hat. In den Gesprächen mit ihrem Arzt klingt sie überhaupt nicht so, wie die beiden sie beschrieben haben.« Ich nahm ihr den Ordner aus der Hand und drückte ihn an mich wie einen Schatz. »Ich habe versucht, diesen Doktor Radolf ausfindig zu machen, aber er hat die Klinik schon vor langer Zeit verlassen und ist nach Hamburg gezogen. Im Internet habe ich leider nichts weiter über ihn finden können. Dabei hätte ich so gerne mit ihm gesprochen. Das, was er über Gesa schreibt, klingt neben aller berufstypischen Distanz nach viel Sympathie.«
»Darf ich das irgendwann einmal lesen?«, fragte Eva-Maria.
Ich zögerte einen Moment, gab ihr den Ordner dann aber wieder. »Nimm ihn ruhig mit, mich überfordert er im Augenblick eher. Aber
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