Die Todesbotschaft
zehn Minuten später stand ich in fast demselben Outfit wieder auf der Straße: in Jeans, Trägertop und einer knappen petrolfarbenen Wickelbluse. Lediglich meine Haare sahen anders aus. Sie waren nicht mehr mit einer Spange zusammengefasst, sondern fielen locker auf meine Schultern.
Nachdem ich an Richards Tür geklingelt hatte und ihm kurz darauf an seiner Wohnungstür gegenüberstand, fragte ich mich sekundenlang, ob er auch ratlos vor dem Spiegel gestanden hatte, bis seine Entscheidung für ein dunkelblaues Polohemd und khakifarbene Jeans gefallen war.
Es war eine wortlose Begrüßung. Er sah mich in einer Weise an, die einer Berührung sehr nah kam. Und ich tat es ihm gleich. Bis er mich an der Hand in die Wohnung zog, mit dem nackten Fuß die Tür schloss, die Hände in meinen Haaren vergrub und mich küsste. Immer wieder schob er mich ein Stück von sich und betrachtete mich, als könne er nicht glauben, dass er keiner Täuschung erlag. Bis ich lachte, ihn mit den Armen umschlang und flüsterte, er brauche keine Angst zu haben, ich würde kein zweites Mal über ihn herfallen. Als er entgegnete, das sei eigentlich schade, war der Bann gebrochen, und ich lernte endlich auch sein Schlafzimmer kennen. Wir liebten uns in einer Intensität, die mich für eine kostbare Weile alles um mich herum vergessen ließ.
Nachdem ich geduscht und mich in seinen viel zu großen Bademantel gehüllt hatte, folgte ich dem Kaffeeduft in die Küche. Richard saß im geöffneten Fenster, zeigte auf den Latte macchiato, den er für mich vorbereitet hatte, und betrachtete mich in aller Seelenruhe.
»Bist du mit deiner dringenden Recherche eigentlich inzwischen fertig?«, fragte ich.
»Noch nicht ganz.«
»Verrätst du mir, worum es dabei geht?«
Er schüttelte den Kopf. Ihm war anzusehen, dass er mir gerne eine andere Antwort gegeben hätte. Mit dem Handballen fuhr er sich über seinen Dreitagebart.
Ich streute Zucker über den Milchschaum. »Du bist mir noch eine Antwort schuldig«, sagte ich, ohne ihn anzusehen. »In unserem letzten Telefonat hast du von Detekteien erzählt, die Menschen auf skrupelloseste Weise ausspionieren, um sie dann zu erpressen. Ich …«
Er hob den Zeigefinger und formulierte damit ein entschiedenes Nein. »Keine Erpressung. Bei diesen ganz speziellen Detekteien geht es um den Handel mit Informationen, die jemanden erpressbar machen. Es wird nicht der Banker erpresst, der mit Insidergeschäften Gewinne macht, nicht das Aufsichtsratsmitglied, dessen Frau als Kleptomanin die Boutiquen abklappert, und auch nicht der Politiker, der sich gerne mal einen Kinderporno reinzieht. Die Informationen werden gesammelt, um sie an die Widersacher dieser Leute zu verkaufen. Also zum Beispiel an jemanden, der einen unbequemen Aufsichtsratskollegen loswerden will. Oder an denjenigen, der einen Politiker unter Druck setzen will, um ihn so in den Dienst der eigenen Lobbyarbeit zu stellen. An jemanden, der eine illegale Preisabsprache unter Wettbewerbern durchdrücken will, oder an ein Unternehmen, das beabsichtigt, seinen Finanzchef zu unlauteren Praktiken zu bewegen. Diese Liste kannst du endlos fortsetzen.« Richard sah auf seine nackten Füße, bevor er wieder den Kopf hob und durchatmete, als müsse er sich von einem Band befreien, das ihm den Brustkorb zusammenschnürte. »Für solche Informationen gibt es einen beachtlichen Markt. Und dort fließt richtig viel Geld.«
»Aber wie soll denn das überhaupt vonstattengehen? Ich meine, so ein Lobbyist wird nicht einfach eine Detektei damit beauftragen, jemanden zu bespitzeln, der seinem Erfolg im Weg steht. Das ließe sich doch ganz leicht zurückverfolgen, und die Detektei wäre mit einer Flut von Prozessen konfrontiert. Gerüchte verbreiten sich nicht selektiv. Wenn sie potenziellen Interessenten zu Ohren kommen können, dann auch staatlichen Ermittlern. Und schon wäre der Laden dicht.«
Richard zuckte die Schultern. »Wenn du intelligent und skrupellos genug bist, um ein solches Geschäftsmodell zu entwickeln und durchzuführen, findest du auch Wege, um den Gesetzeshütern aus dem Weg zu gehen. Außerdem besteht immer die Möglichkeit, sie sich vom Hals zu halten. Entweder durch Bestechung oder durch Erpressung.«
Ich sah ihn lange an, ohne ein Wort zu sagen. »Was ist das nur für eine Welt, die du da beschreibst?«
»Eine Parallelwelt.«
»Ist das neu?«, fragte ich Eva-Maria in einem bewundernden Tonfall, während ich den Salat putzte.
Ihr Kleid
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