Die Todesbotschaft
sich die eigene Ehefrau keinesfalls interessiere. Bei dieser Art, seine Geheimnisse zu verbergen, komme noch der Kitzel hinzu, sie für alle sichtbar zu präsentieren.
Die junge Frau hat sich also eine der DVDs, die als Mitschnitt eines Mitarbeitermotivationsseminars getarnt war, herausgegriffen, hat sie in ihr mobiles Lesegerät geschoben und im Schnelldurchlauf bis fast zum Ende gespult. Bei dem, was sie dort zu sehen bekam, handelte es sich jedoch nicht wie sonst üblich um Filmmaterial über ausgefallene Sexspiele, sondern um die Bild gewordenen Phantasien eines Sadisten, der sich am Morden während des Geschlechtsverkehrs berauschte.
Die beiden Mitarbeiterinnen übergaben die DVD – mit den Fingerabdrücken des Stammkunden darauf – Hartwig Brandt, womit der Auftrag für sie erledigt und die Prüfung bestanden war. Bevor er den Datenträger dem Dossier hinzufügte, vergewisserte er sich der Qualität des Materials.
»Wie menschenverachtend muss man eigentlich sein, um sich bei solchen Aufnahmen der Qualität des Materials zu vergewissern?«, fragte ich Adrian über die Blätter hinweg. »Die kommen mir vor wie Roboter, denen es einzig darum geht, ihren Job runterzuspulen, ohne einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, was diese Arbeit beinhaltet. Solche Leute bezeichnet Carl als absolute Profis.«
Adrian war seine Erschöpfung anzusehen. Er schloss die Augen und massierte sich den Nacken. »Als ich das gelesen habe, habe ich mir die gesamte Zeit über gewünscht, der Mann, der das geschrieben hat, sei ein Fremder. Letztlich ist er das ja auch. Aber er war auch mein Vater. Selbst wenn ich wollte, könnte ich ihn nicht aus meinem Leben ausblenden. Dir brauche ich wohl nicht zu beschreiben, was für ein Gefühl das ist.«
Ich legte die Blätter auf den Tisch, ging ins Bad und trank kaltes Wasser aus der Leitung. Dann formte ich meine Hände zu einer Schale, ließ Wasser hineinlaufen und benetzte mein Gesicht damit. Schließlich sah ich in den Spiegel. Die Wassertropfen auf meinen Wangen hätten genauso gut Tränen sein können. Ich verbarg mein Gesicht in einem Handtuch und blieb sekundenlang so stehen. Bis ich das Rauschen in meinem Kopf nicht mehr ertrug und zurück ins Zimmer ging. Ich setzte mich auf die Fensterbank und sah Adrian stumm an. In meinem Kopf ging es drunter und drüber. Es war ein Gedankenkarussell, das sich immer schneller zu drehen schien. Als sich ein Gedanke in den Vordergrund schob, setzte ich mich wieder an den Tisch.
Ich ging noch einmal ein Stück zurück in Carls Ausführungen. »Hier schreibt dein Vater, dass der Stammkunde seine DVD als Mitschnitt eines Mitarbeitermotivationsseminars getarnt hat. Erinnerst du dich an die DVD , auf der wir überhaupt nichts Interessantes entdecken konnten?«
Adrian nickte. »Daran musste ich auch sofort denken. Ich bin froh, dass wir sie nicht bis zum Ende gespult haben.« Er zeigte auf die Blätter. »Lies weiter, Finja.«
Hätte Hartwig Brandt einfach nur seine Arbeit getan
, fuhr Carl fort,
hätte er sich an die Vorschriften gehalten und das Material ohne jede moralische Wertung gesichtet, wären Cornelia, Hubert, Amelie und Kerstin noch am Leben. Aber zum ersten Mal in all den Jahren, in denen er für
BGS&R
wirklich hervorragende Arbeit geleistet hat, haben ihm seine Gefühle einen Streich gespielt. Zugegeben: Ein solches Video ist starker Tobak, wenn man so etwas zum ersten Mal sieht. Andererseits ist es genau das Material, nach dem wir suchen
.
Immer noch fiel es mir schwer zu glauben, dass diese Zeilen von Carl geschrieben worden waren, von diesem Menschen, der seine Frau über alles geliebt hatte, der nach ihrem Tod zusammengebrochen war.
Starker Tobak, wenn man so etwas zum ersten Mal sieht.
Als könne das Entsetzen darüber von Mal zu Mal abflachen. Aber dann wurde mir bewusst, dass Carls Wortwahl mit Entsetzen nicht das Geringste zu tun hatte. Er hatte in einer Welt gelebt, in der das Grauen als Superlativ gehandelt wurde.
Hartwig Brandt hat sich diese Filmaufnahme wohl einen Moment zu lang angesehen. Schließlich glaubte er, in dem Mann, der da gerade eine junge Frau ermordete, unseren Stammkunden zu erkennen. Er ist damit zu Tobias gegangen und hat ihn dafür gewinnen wollen, dem Mann das Handwerk zu legen. Er schlug vor, die DVD anonym mit einem entsprechenden Hinweis auf den Täter an die Staatsanwaltschaft zu schicken. Damit hätte er jedoch eine unserer ehernsten Regeln verletzt, die da besagt: Nie, unter gar keinen
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