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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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Straße jemandem zu begegnen, der Gesa Minke gekannt hatte. Als es tatsächlich geschah, war es ein Gefühl, als müsse sie jeden Moment zur Salzsäule erstarren. In einer Schlange beim Bäcker stehend, hatte sie sich zufällig umgedreht. Nur drei Wartende standen zwischen ihr und einem ihrer ehemaligen Kirchenmalerkollegen. Doch er schien völlig desinteressiert an allem, was um ihn herum vor sich ging. Ohne das geringste Stocken huschte sein Blick über sie hinweg. Eva-Maria atmete auf. Er hatte sie nicht erkannt.
    Am Abend trug sie dieses Erlebnis in ihr Tagebuch ein. Bereits einen Tag nach ihrem Identitätswechsel hatte sie ein neues erworben. Denn auch als Eva-Maria Toberg beschrieb sie die weißen Seiten regelmäßig mit dem, was sie den Tag über erlebt hatte. Sollte ihr die Erinnerung noch einmal verlorengehen, konnte sie sich sicher sein, sie hierin wiederzufinden. Damit es nicht in fremde Hände fiel, trug sie das Heft stets bei sich.
    Nach all dem, was hinter ihr lag, war es ihr leichtgefallen, Gesa Minke zurückzulassen. Zentnerschwer war ihr das Herz nur geworden, als sie Finjas Bilder gezwungenermaßen in winzige Fetzen gerissen hatte. In einer WG mit unverschlossenen Türen und der Neigung ihrer Mitbewohner, sich aus fremden Schubladen das eine oder andere auszuleihen, hätten sie nur unliebsame Fragen aufgeworfen.

[home]
    18
    M inutenlang hielt ich Carls Brief in Händen und starrte darauf. Meine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, so dass die Buchstaben auf den Blättern verschwammen. Ich versuchte, Adrian meine Gefühle zu beschreiben, aber ich fand keine Worte dafür. Was die Männer getan hatten, bewegte sich jenseits meiner Vorstellungskraft. Meiner Mutter hatten sie das Kind genommen und mir die Mutter. Unwiederbringlich. Sie hatten Gesa für verrückt erklärt und vorübergehend weggesperrt. Und das alles nur, weil der Hauch einer Gefahr bestanden hatte, sie könne etwas über ihre Geschäftspraktiken erfahren haben.
    Ich ging zum Fenster und versuchte, nicht völlig die Fassung zu verlieren. Auf der Suche nach einem Halt wanderte mein Blick durch den Innenhof und an der Fassade des Hinterhauses hinauf. Die Frau, die dabei war, die Treppenhausfenster zu putzen, machte gerade eine Zigarettenpause. Sie hatte sich halb auf die Fensterbank gesetzt und schnippte die Asche in den Hof. Sekundenlang begegneten sich unsere Blicke, bevor sie sich abwandte.
    Ich wollte tief Luft holen, hatte aber das Gefühl in einem viel zu engen Panzer zu stecken. Die Rolle, die mein Vater in jener Nacht gespielt haben sollte, brachte mich an den Rand dessen, was ich ertragen konnte. Meine Gedanken überschlugen sich auf der Suche nach Erklärungen, nach Entschuldigungen. Vielleicht war er von den anderen gezwungen worden, vielleicht war er betrunken gewesen. Gleichzeitig war mir bewusst, wie sinnlos diese Gedanken waren. Sie beschrieben lediglich einen Umweg. Am Ziel wartete die immer gleiche Erkenntnis, dass mein Vater auf unvorstellbare Weise in das Leben meiner Mutter und in meines eingegriffen hatte.
    Adrian hatte geahnt, dass mich ganz besonders dieser Teil von Carls Ausführungen umhauen würde. Er saß neben mir, strich über meinen Rücken und flüsterte Worte, die mich beruhigen sollten. Aber es gab keinen Trost. Meine leibliche Mutter war tot. Und das nicht etwa, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, wie es immer so lapidar hieß. Sie war tot, weil vier Egomanen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Weichen ihres Lebens verstellt hatten.
    Es dauerte seine Zeit, bis ich fähig war, mit dieser zutiefst bedrückenden Lektüre fortzufahren. Für Sekunden spürte ich den Impuls, die Blätter zu zerreißen und schließlich zu verbrennen. Damit nichts von ihnen übrig blieb. Aber ich überwand ihn und las weiter.
    Von Jahr zu Jahr wurden wir versierter und gleichzeitig erfolgreicher. Und das sicher nicht zuletzt wegen der sich ständig verbessernden Technik. Schon wenige Jahre nach Gründung unserer Sonderabteilung konnten wir uns zugutehalten, tatsächlich an jede Information heranzukommen – vorausgesetzt, sie existierte. Wir häuften Dossier auf Dossier und sammelten damit eine beachtliche Macht. Bis schließlich alles aus dem Ruder lief. Es traf uns völlig unvorbereitet.
    Tobias habe einen Routineauftrag angenommen. In dem bewährten Procedere sei seine Abteilung dafür angeheuert worden, einem Stammkunden Informationen über die Angebotsabgabe eines Wettbewerbers zu liefern. Der

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