Die Todesbotschaft
Kerl dann noch Amelie umbringen lassen? Er hat die DVD s doch zurückbekommen.«
Meinem Schwager standen Tränen in den Augen. Er deutete auf die Blätter in meiner Hand. »Da steht, dass zwei DVD s nicht wieder bei ihrem Eigentümer angekommen sind. Hartwig Brandts Mitarbeiterinnen haben bestätigt, dass sie beim zweiten Besuch in dem Ferienhaus sechs Datenträger entwendet haben. Mit dem ersten waren es also insgesamt sieben. Zurückgegeben wurden aber nur fünf. In dem Umschlag, den Hartwig Brandt an Tobias geschickt hat, befanden sich vier. Mit der einen, die sich bereits in Tobias’ Besitz befand, waren es fünf. Die zwei fehlenden kann Hartwig Brandt jedoch nicht bei sich gehabt haben, als sein Verfolger ihn zu fassen bekam, sonst hätte der Eigentümer ja Ruhe gegeben.«
Ich versuchte nachzuvollziehen, was Adrian mir da erklärte, und runzelte die Stirn. »Das bedeutet?«
»Wie mein Vater schreibt, hat Tobias wohl vermutet, dass Hartwig Brandt bewusst zwei DVD s zurückbehalten hat, um sie an sich selbst oder eine Vertrauensperson zu schicken und dann anonym Anzeige erstatten zu können, sollte Tobias sich nicht dazu durchringen. Tobias hat Hartwig Brandts Wohnung durchsuchen und den Briefkasten öffnen lassen, aber nichts gefunden. Die Datenträger müssen irgendwo anders gelandet sein.« Adrian holte tief Luft und legte dabei eine Hand auf die Brust, als habe er Schmerzen. Er sah mich mit einem Blick an, der mir ins Herz schnitt. »Mein Vater nimmt an, Amelies Tod sei schließlich eine einzige Machtdemonstration gewesen«, fuhr er mit leiser Stimme fort. »Zu verstehen als Botschaft, dass dieser Mann in jedem Fall stärker ist als die Partner von
BGS&R
– gleichgültig, ob die beiden fehlenden DVD s sich noch in deren Besitz befinden oder nicht.«
Minutenlang saß ich da und wünschte mir, mein Gehirn gleiche einer Festplatte, deren Dateien sich bei Bedarf löschen ließen. Wie sollten wir je damit fertig werden, dass vier Unschuldige hatten sterben müssen, weil vier geld- und machthungrige Männer an den Falschen geraten waren? An einen, der skrupelloser war, an einen Sadisten und Mörder?
Wie sollte ich damit umgehen, dass mein Vater ein Verbrecher war? Ich sah ihn vor mir, diesen Mann, den ich bis vor kurzem mit großer Selbstverständlichkeit geliebt hatte, den ich als liebevoll und beschützend wahrgenommen hatte. Hätte ich die Seiten aufzählen sollen, die mich an ihm störten, wären mir als Erstes sicherlich seine bedingungslose Leistungsorientierung eingefallen und seine Arroganz, die er an den Tag legen konnte. Aber Begriffe wie Gewinnmaximierung und Machtstreben um jeden Preis wären mir im Zusammenhang mit ihm nicht in den Sinn gekommen.
Mir kam es vor, als hätte ich einen völlig anderen Menschen kennengelernt als den, von dem Carls Bericht unter anderem handelte. Hatte ich ihn idealisiert, um wenigstens bei einem Elternteil Geborgenheit zu finden? Ich wusste keine Antwort darauf. Ich spürte nicht einmal mehr diese tiefe Verbundenheit. Sie schien verschüttet zu sein wie das Fundament eines Hauses nach einem schweren Erdbeben.
Es war kurz vor zwei, und ich brauchte eine Pause. Lang waren wir um diese engbedruckten Blätter gekreist, ohne dass ein Ende in Sicht war. Minutenlang stellte ich mich unter die Dusche, als könne ich damit den Schmutz und das Grauen wegwaschen, die sich wie ein klebriger Film auf meine Haut gelegt zu haben schienen. Ich hielt das Gesicht in den Wasserstrahl und versuchte, an nichts zu denken. Genauso gut hätte ich versuchen können, die Schwerkraft auszuschalten.
Mein Schwager lag auf dem Bett, als ich ins Zimmer zurückkehrte. Er hatte die Arme über die Augen gelegt.
Ich setzte mich auf den Bettrand. »Weißt du, was mir nicht in den Kopf will, Adrian? Dass unsere Väter bei der ersten Todesanzeige an einen schlechten Scherz geglaubt haben wollen. Sie müssen sich im Lauf der Jahre so viele Menschen zu Feinden gemacht haben und kommen nicht als Erstes auf die Idee, eines ihrer Bespitzelungsopfer könne doch auf irgendeinem Weg herausgefunden haben, wer hinter alldem steckt, und es auf Rache abgesehen haben? Kein System funktioniert hundertprozentig. Was ist das? Selbstherrlichkeit? Die Überzeugung, grandios zu sein? Als könne niemand ihnen etwas anhaben? Sie müssen vollkommen die Bodenhaftung verloren haben.«
Adrian nahm die Arme vom Gesicht und drehte den Kopf in meine Richtung. »Ich glaube, dass sie sich mit jedem Jahr, in dem sie nicht
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