Die Todesbotschaft
gewesen und wären Gefahr gelaufen, entdeckt zu werden. Diese Geschichte gehe ihm noch heute nach, da sie sich in seinem privaten Umfeld abgespielt und seine professionelle Distanz unterminiert habe.
Gesa, Freias Schwester, habe damals zufällig eines ihrer Treffen belauscht. Es sei heiß hergegangen an diesem Abend in Alexanders Bootshaus. Sie hätten sich gestritten. Johannes hätte kalte Füße bekommen, als er erfuhr, dass die Jungs der Spezialabteilung auch vor dem Abhören von Beichtstühlen nicht zurückschreckten, um an die geforderten Informationen zu kommen.
Vielleicht hatte Gesa die Brisanz unserer Unterhaltung gar nicht erfasst
, schrieb Carl
. Sie war noch so jung. Achtzehn, wenn ich mich recht entsinne. Alexander hatte seine Affäre mit ihr – Finja ist übrigens ihr gemeinsames Kind – kurz zuvor beendet. An dem besagten Abend muss sie ihm bis zum Bootshaus gefolgt sein, um noch einmal mit ihm zu reden. Als sie an die Tür des Bootshauses klopfte, wussten wir nicht, ob und wenn ja, wie viel sie belauscht hatte. Aber wir durften auch kein Risiko eingehen. Alexander befürchtete vielleicht nicht ganz zu Unrecht, Gesa könnte versuchen, ihn mit dem Belauschten unter Druck zu setzen. Also mussten wir sie aus dem Verkehr ziehen.
Mir stockte der Atem, als ich diesen Satz las:
Wir mussten sie aus dem Verkehr ziehen.
Wenn sie tatsächlich getan hatten, was ich befürchtete, sollten sie dafür in der Hölle schmoren. Es drängte mich, weiterzulesen, gleichzeitig fürchtete ich mich davor. Ich zündete eine Zigarette an und inhalierte den Rauch so tief, dass ich husten musste. Als sich meine Bronchien endlich beruhigt hatten, nahm ich die Blätter erneut zur Hand.
Alexander hat Gesa noch am Abend ein starkes Schlafmittel verabreicht, das sie in einen fast todesähnlichen Schlaf fallen ließ. Als er sie gegen Morgen weckte, behauptete er, sie habe in der Nacht versucht, erst ihr Kind und dann sich selbst zu töten. Aus unerwiderter Liebe. Gesa, die kurz darauf in eine Nervenklinik verfrachtet wurde, konnte sich an nichts erinnern. Ihr Kind blieb bei ihm und Freia. Später ist Finjas leibliche Mutter dann bei einem Wohnungsbrand in Berlin ums Leben gekommen. Ein Jammer, ich habe das Mädchen wirklich gemocht.
*
Weit entfernt von ihrem früheren Viertel begann Gesa als Eva-Maria Toberg ein neues Leben. Von einem Tag auf den anderen war sie nun nicht mehr fünfundzwanzig Jahre alt, sondern neunzehn, eine Tatsache, die leicht zu vertuschen sein würde. Die erste Woche verbrachte sie in einem heruntergekommenen Hotel in der Nähe des Bahnhofs. Hier schien niemand auf den anderen zu achten, und das kam ihr gerade recht. So scherte sich auch niemand darum, dass sie ihr Äußeres innerhalb weniger Tage von Grund auf veränderte. Als Gesa hatte sie in den vergangenen Jahren nichts mehr aus sich gemacht, sondern ihre Unscheinbarkeit gepflegt, um nicht aufzufallen. Als Eva-Maria erfand sie sich neu. Angefangen bei ihren Haaren, die sie bis zu den Ohrläppchen kürzte, hennarot färbte und denen sie eine Dauerwelle verpasste. Bis hin zu ihrer Kleidung, die sich von nun an stets an aktueller oder ausgefallener Mode orientieren würde.
Eva-Marias alten, zerkratzten Koffer entsorgte sie in einer entlegenen Mülltonne. Ebenso die wenigen Habseligkeiten, die ihre ehemalige Mitbewohnerin darin verwahrt hatte. Sie behielt lediglich Ausweis, Geburtsurkunde und Schulzeugnisse. An dem Tag, an dem sie die Zusage für ein Zimmer in einer WG erhielt, packte sie alles in eine neu erstandene Reisetasche, bezahlte ihre Rechnung in dem Hotel und betrat auf dem Weg in ihr neues Leben eine katholische Kirche.
Im Seitenflügel kniete sie nieder und zündete unter den Augen einer Marienfigur eine Kerze für Eva-Maria an. In einer stummen Zwiesprache verabschiedete sie sich von ihr. Sie versprach, etwas aus dem Leben zu machen, das ihr auf so tragische Weise geschenkt worden war, und sorgsam damit umzugehen.
Zwei Wochen nach ihrem Einzug in die WG nahm Eva-Maria zunächst eine Hilfsarbeit in einem Museum an, bis sie sich ein Vierteljahr später um einen Ausbildungsplatz zur Restauratorin bewarb und ihn kurz darauf bekam. Auch in ihrem neuen Leben traute sie sich nicht, als kreative Künstlerin zu arbeiten. Doch sie wollte der Malerei unbedingt treu bleiben. Und so lernte sie, die Bilder anderer Künstler zu restaurieren. Etwas, das ihr mit der Zeit eine große Befriedigung verschaffte.
Immer noch war sie voll von Sorge, auf der
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