Die Todesbotschaft
absehbare Zeit würde ich nicht an den Tegernsee zurückkehren. Wenn er mich allerdings in Berlin besuchen wolle, wisse er ja inzwischen, wo ich zu finden sei.
Mein Vater wartete neben meinem Mietwagen auf mich. Ich verabschiedete mich von Adrian, der froh zu sein schien, einen großen Bogen um seinen Schwiegervater machen zu können. Ein paar Meter vor meinem Vater blieb ich stehen. Ich wollte ihm nicht näher kommen als unbedingt nötig.
»Auf dem Weg zum Flughafen werde ich noch im Haus vorbeifahren und meine restlichen Sachen holen«, sagte ich. Als er die Sonnenbrille abnahm und seine Hand nach mir ausstreckte, trat ich noch weiter zurück und schüttelte den Kopf.
»Finja, ich bitte dich, lass uns …«
»Nein!«, wehrte ich ihn ganz entschieden ab. »Ich will nicht reden. Nicht mehr.«
Als verstünde er mich nur zu gut, trat er mit einem Nicken ein paar Schritte beiseite, um mich in mein Auto steigen zu lassen. Ich ließ mich in den Sitz fallen, schlug die Tür zu und drehte den Zündschlüssel, um die Scheibe herunterzulassen.
»Eine Frage habe ich noch. Und wenn du nur noch einen Funken Anstand in dir hast, lüg mich nicht an. Wusste Freia von der Sache mit Gesa? Wusste sie, was du ihrer Schwester angetan hast?«
Er sah mich stumm an, schüttelte dann den Kopf und setzte seine Sonnenbrille wieder auf. Ohne noch einmal in den Rückspiegel zu sehen, gab ich Gas und bog am Ende der Ausfahrt Richtung Rottach-Egern ab.
Ich wusste, er würde noch an dem geplanten Traueressen teilnehmen. Insofern würde ich sein Arbeitszimmer lange genug ungestört für mich haben, um das Bild, das ich ihm vor vielen Jahren an die Wand gemalt hatte, der Realität anzupassen. Zu diesem Zweck hatte ich aus Berlin ein paar Farben mitgebracht.
Ich brauchte knapp zwei Stunden, um aus dem Bild von vier Männern, die ein Ruderboot über ihren Köpfen trugen und sich damit gegen einen Sturm stemmten, ein anderes entstehen zu lassen.
In der überarbeiteten Version zeigte es vier Männer, deren Köpfe unter dem Körper eines riesigen Kraken verborgen waren. Die Enden der Tentakel bildeten Augen und Ohren, die so eklig aussahen, dass in jedem Betrachter unweigerlich der Impuls entstehen musste, sich angewidert abzuwenden.
Als ich fertig war, zog ich fest die Tür hinter mir ins Schloss und fuhr zum Alten Friedhof, um meiner Schwester und meiner Mutter Blumen zu bringen. Amelies Kompass in meiner Hand machte ich mich schließlich auf den Heimweg.
Beim Start des Flugzeugs wurde ich in meinen Sitz gedrückt. Es tat gut, sich diesem Druck zu überlassen, loszulassen – wenigstens für den Moment. Ich schloss die Augen und dachte an Niklas. Als die Flughöhe erreicht war, öffnete ich sie wieder und sah hinunter auf die Wolken.
»Schön, nicht?«, meinte der Mann neben mir mit einem Lächeln, um den Blick gleich wieder im Wirtschaftsteil seiner Zeitung zu versenken.
Ich folgte seinem Blick, wobei mir ein paar Schlagzeilen ins Auge sprangen und mir bewusst machten, wie sehr ich von den Inhalten der DVD s infiziert worden war. Wie lange würde es dauern, bis ich nicht mehr von jeder Nachricht über einen Personalwechsel, eine Preisabsprache oder erfolgreiche Lobbyarbeit auf skrupellose Machenschaften im Hintergrund schließen würde?
Ich wollte mich gerade abwenden, als mein Blick wie magisch von drei kleinen Porträtfotos angezogen wurde. Das mittlere zeigte Thomas Niemeyer. Meinem Sitznachbarn war mein Interesse nicht entgangen. Er schlug die Zeitung zu und reichte sie mir mit den Worten, er könne sie auch später noch lesen.
Ich suchte die Seite mit dem Foto und las den dazugehörigen Bericht. Angekündigt wurde darin ein Unternehmergespräch zu den Folgen und Auswirkungen der Globalisierung, das zwei Tage später im Adlon in Berlin stattfinden sollte. Während des restlichen Fluges überlegte ich, was sich mit dieser Information anfangen ließ, kam jedoch zu keiner Entscheidung und verschob jeden weiteren Gedanken daran auf den nächsten Tag.
Nach der Landung stand mir der Sinn nur nach Niklas, der mich wie versprochen abholte und in seine Arme schloss. Am nächsten Morgen würde er für ein paar Tage nach Hamburg aufbrechen müssen. Bis dahin verbrachten wir Stunden, in denen sich tatsächlich für kurze Zeit das Gestern in den Hintergrund verzog und ich eine Ahnung davon bekam, dass es auch für mich irgendwann wieder unbeschwerte Momente geben würde.
Nie wieder jedoch würde es diese Unbeschwertheit sein, die noch
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