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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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deutlich, dass ein anderer Schwimmer in der Nähe war. Ich öffnete die Augen, suchte die Wasseroberfläche ab und erkannte an der Art, wie er mir zuwinkte, meinen Vater. Vom Frühjahr bis in den Herbst hinein schwamm er jeden Morgen eine halbe Stunde im See, bevor er nach München ins Büro aufbrach. Mit seinen neunundsechzig Jahren dachte er genauso wenig wie seine drei Partner ans Aufhören. Vermutlich würde man alle vier irgendwann aus ihren Büros hinaustragen müssen.
    »Guten Morgen, Finja«, begrüßte er mich. Es war nicht leicht, meinem Vater ein Lächeln zu entlocken. Wenn es gelang, war es wunderbar.
    Ich erwiderte es. »Guten Morgen.«
    »Wer zuerst zurück am Steg ist?«, forderte er mich zum Wettschwimmen heraus.
    Ich winkte ab. »Gegen dich habe ich keine Chance.«
    »Gegen mich alten Mann?« Er sagte es in einem Ton, der seine Worte Lügen strafte. Bisher hatte ihm sein Alter nicht allzu viel anhaben können. Er war schlank und durchtrainiert und begegnete vermutlich immer noch jedem kulinarischen oder alkoholischen Exzess am Tag darauf mit eiserner Disziplin. Und er war ein Wettkämpfer. Deshalb konnte er auch nicht einfach nur neben mir herschwimmen, sondern zog mit kräftigen Zügen an mir vorbei. In einen Bademantel gehüllt wartete er am Steg, als auch ich endlich dort ankam und aus dem Wasser stieg.
    Er reichte mir das Badetuch. »Zieh dir schnell etwas Trockenes an, dann können wir noch zusammen frühstücken, bevor ich losmuss.«
    Als wir Richtung Haus gingen, wurde mir bewusst, wie ungewohnt es immer noch für mich war, meinen Vater an einem Stock gehen zu sehen. Vor eineinhalb Jahren hatte nach einem Skiunfall sein linkes Fußgelenk wegen eines Trümmerbruchs versteift werden müssen. Er hatte so gut wie kein Wort darüber verloren, obwohl der Verlauf mit großen Schmerzen verbunden gewesen sein musste.
    Während wir die Treppe hinaufstiegen, zeigte ich auf die Figuren in der Halle. »Die Dinger sind besser als jede Alarmanlage. Im Dunkeln bekommt bei deren Anblick doch jeder Einbrecher einen Herzinfarkt.«
    »Die Dinger, wie du sie nennst, waren teurer als unsere Alarmanlage. Als ich die Rechnung sah, war ich mir sicher, die Galerie hätte das Komma an die falsche Stelle gesetzt. Deine Mutter meinte jedoch nur, ich sei ein Banause.« Er winkte mir über die Schulter hinweg zu und verschwand Richtung Bad.
    Ich lief eine Treppe höher. Nachdem ich geduscht hatte, machte ich einen Abstecher in die Küche, um Helga Reichelt, die Haushälterin meiner Eltern, zu begrüßen. Die mollige Mittvierzigerin aus Egern schien sich genau wie Elly im Dirndl am wohlsten zu fühlen. Im Gegensatz zu meiner ehemaligen Kinderfrau war sie jedoch am frühen Morgen eher wortkarg. Mehr als ein »Guten Morgen, Finja« war ihr nicht zu entlocken.
    Auf der Terrasse setzte ich mich an den gedeckten Tisch unter die ausgefahrene Markise und warf einen Blick in die Tageszeitung, die neben dem Teller meines Vaters lag. Ich hatte noch nicht einmal die Schlagzeilen überflogen, als ich seine Schritte auf dem Wohnzimmerparkett hörte. Ich wandte mich um und sah ihn auf mich zukommen. Er trug einen hellgrauen Sommeranzug, der so perfekt saß, dass es sich um eine Maßanfertigung handeln musste. Seine dunklen kurz geschorenen Haare zeigten immer noch keinen einzigen Anflug von Grau. Ich war mir sicher, er ließ sie färben. Er war eitel, und er stand dazu.
    Im Hinsetzen strich er mir über die noch nassen Haare. Während er sich ein Brötchen aus dem Korb nahm, es aufschnitt und eine der Hälften mit Frischkäse bestrich, schenkte ich uns Kaffee ein und löffelte Milchschaum darauf.
    »Schön, dass du so rechtzeitig gekommen bist.« Er betrachtete das Brötchen in seiner Hand und legte es zurück auf den Teller. Es war, als hätte er versucht, die morgendliche Routine aufrechtzuerhalten, um dann an den Punkt zu kommen, an dem es nicht mehr möglich war. Der Tod von Cornelia und Hubert ließ es nicht zu. Er lehnte sich zurück und sah auf den See. Seine Kiefermuskeln bewegten sich unaufhörlich. »Ich hätte mir einen anderen Grund für deinen Besuch gewünscht«, sagte er und strich sich dabei mit Daumen und Zeigefinger von außen nach innen über die Augen.
    Ich stellte die Kaffeetasse zurück auf den Unterteller. »Wenn ich an den Straßen diese Kreuze sehe«, sagte ich leise, »bin ich einen Moment lang betroffen, aber eben nur einen Moment. Doch plötzlich trifft es jemanden, der dir nahestand, den du gut kanntest. Und

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