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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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genau, welche Stufen an welchen Stellen knarrten. Amelie und ich hatten früher einen Wettbewerb daraus gemacht: Gewonnen hatte, wer völlig geräuschlos die Treppe hinauf- und wieder herunterkam. Wir waren beide gut darin gewesen. Und ich war es immer noch, wie ich feststellte, als ich im Dachgeschoss angekommen war, ohne ein Knarren zu verursachen.
    Dankbar registrierte ich, dass jemand das Fenster zum Lüften geöffnet hatte. Ohne Licht zu machen, stellte ich meine Tasche ab und kramte eine Zigarette daraus hervor. Auf der Fensterbank sitzend sah ich auf den See, der leise glucksende Geräusche von sich gab. Ich blies den Rauch in die feuchte Nachtluft und fragte mich, wie ich nach diesem Tag einschlafen sollte. Todmüde und gleichzeitig überdreht dachte ich an das, was die Polizeibeamten zu Adrian und seinem Vater gesagt haben sollten. Fahrlässige Tötung konnte ich mir gerade noch vorstellen. Aber wer hätte es darauf abgesehen haben sollen, Hubert und Cornelia umzubringen?
    Diese Frage trieb mich auch noch um, als ich längst im Bett lag. Die einzig vernünftige Antwort erschien mir die, dass die Beamten im Übereifer ihr Lehrbuch heruntergerattert hatten – keine Möglichkeit ausschließen, für alles offen sein. Dass sie damit der Familie einen Bärendienst erwiesen hatten, war ihnen mit Sicherheit nicht bewusst gewesen. Ich dachte an Carl, den die Wirklichkeit erbarmungslos einholen würde, wenn er am Morgen aus seinem Rausch aufwachte. In den nächsten Tagen würden Amelie und Adrian noch um ihn sein. Danach würde es einsam werden in dem großen Haus.
     
    »Nein!« Mein Schrei war ohrenbetäubend. Mit klopfendem Herzen setzte ich mich auf und lehnte mich gegen das Kopfende des Bettes. Einen Moment lang meinte ich noch, den Schrei in meiner Kehle spüren zu können, bis mir bewusst wurde, dass ich nur geträumt hatte. Ein Mann hatte am Treppengeländer eines Hauses gestanden und die Arme über das Geländer hinweg nach vorne gestreckt. Anstatt Fingern hatte er Fäden, an denen wie Marionetten eine Frau und ein Kind hingen. Ich stand am Fuß der Treppe, sah zu ihm hinauf und hörte ihn sagen: »Was soll das Ganze jetzt noch?« Dann schüttelte er seine Hände so lange, bis sich die Fäden lösten und die Frau und ihr Kind in die Tiefe stürzten. Ich sah sie fallen, hörte den Aufprall. Als ich den Blick hob, waren ihm bereits neue Fäden gewachsen. Dieses Mal hingen zwei Kinder an ihnen. Mein Schrei hatte diesem Horror ein Ende gesetzt.
    Es war kurz nach sechs, im Haus war noch alles still, und ich spürte immer noch den Nachgeschmack dieses Traumes. Ich sah mich in dem Zimmer um, das ich vor ein paar Jahren aus einer Laune heraus noch einmal neu eingerichtet hatte und das sich für mich wie ein Nest inmitten dieses riesigen Hauses anfühlte. Dominiert wurde es von einem kreisrunden Bettkasten, um den herum drei Filzwürfel in unterschiedlichen Größen und Farben standen. Außerdem gab es noch einen Sitzsack und einen Einbauschrank.
    Da ich ohnehin nicht wieder einschlafen konnte, zog ich einen Badeanzug an und holte ein Handtuch aus dem Bad. Ich lief die Treppen hinunter ins Wohnzimmer. Die Fenster dieses langgestreckten Raumes, der mit seinen Bildern und Plastiken jeden Kunstliebhaber neidisch werden ließ, gaben den Blick auf den See frei. Drei Sitzgruppen, die eine Farbskala von hellen bis dunklen Erdtönen abdeckten, waren auf den See ausgerichtet.
    Ich öffnete eine der Terrassentüren und lief über die Holzbohlen auf den englischen Rasen. In meinen Augen kam es eher einer Vergewaltigung der Natur gleich, dass sich zwischen den Grashalmen weder Kleeblätter noch Gänseblümchen hielten. Meine Mutter wertete es als Erfolg ihrer strikten Vorgaben an den Gärtner. Genauso wie die durchweg zu Formen zurechtgestutzten Büsche.
    Über das feuchte Gras ging ich zum Bootssteg und setzte mich. Während ich die Beine über den Rand baumeln ließ, genoss ich die Stille des frühen Morgens, die nur vom Gezwitscher der Vögel durchbrochen wurde. Ich dachte an die Spatzen in meinem Berliner Hinterhof. Und ich dachte an Richard Stahmer, in dessen Wohnung eine Wand auf mich wartete.
    Als ich mich schließlich ins Wasser gleiten ließ, schnappte ich nach Luft. Nach ein paar kräftigen Schwimmzügen spürte ich die Kälte jedoch nicht mehr. Ich schwamm ein ganzes Stück hinaus, bis ich mich auf den Rücken drehte und mit geschlossenen Augen treiben ließ.
    Erst war das Geräusch nur ganz leise, dann hörte ich

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