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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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hielt mich mit der einen Hand an dem Baumstamm fest und fasste mit der anderen unter ihren Kopf. Er schien so leicht zu sein. »Kerstin …«, flüsterte ich. »Bitte …«
    »Finja«, rief meine Schwester von oben. Ihre Stimme war voll von Angst. »Was ist denn da unten? Hast du Kerstin gefunden?«
    »Ruf die Bergwacht an, Amelie! Hörst du? Die Bergwacht. Jemand muss herkommen und …«
    »Was ist mit Kerstin?«
    »Bitte … ruf an! Schnell!«
     
    Fünf Tage später wurde Kerstin auf dem Ringbergfriedhof in Kreuth beerdigt. Als wir um ihr Grab standen, sah ich sie wieder im Wald liegen, mit blutiger, aufgerissener Haut und abgewinkeltem Kopf. Dabei war sie kurz zuvor noch voller Lebensfreude auf einem Baumstamm balanciert, um ihren Gleichgewichtssinn zu demonstrieren. Und ausgerechnet sie sollte in die Tiefe gestürzt sein und sich das Genick gebrochen haben? Einfach so? Das wollte mir nicht in den Kopf. Kerstin hatte sich mitten auf den Weg hocken wollen. Selbst wenn jemand gekommen wäre, hätte sie sich nicht am Abhang in einen Busch zurückgezogen, sondern wäre eher ein kleines Stück den Berg hinaufgeklettert. Auch da gab es Gebüsch, hinter dem sie sich hätte verbergen können. Aber es war müßig, über eine solche Möglichkeit nachzudenken. Die Frage, was in diesen zehn Minuten geschehen war, ließ mir keine Ruhe.
    Nachdem Kerstins Leichnam abtransportiert worden war, hatten wir noch einmal mit den Leuten von der Bergwacht gesprochen, der Polizei den Ablauf geschildert und waren schließlich gemeinsam zu Kerstins Vater gefahren. Amelie hatte darauf bestanden mitzukommen. Auf der Fahrt dorthin hatte mein Handy geklingelt. Ich hatte Richard Stahmers Nummer erkannt, mich jedoch nicht in der Lage gefühlt, mit ihm zu sprechen. Seine Nachricht, dass es ihm schwerfalle, sich noch um eine weitere Woche zu gedulden, war auf der Mailbox gelandet.
    Und dann war der Moment gekommen, in dem wir Johannes hatten sagen müssen, dass seine Tochter tödlich verunglückt war. In seinem Gesicht hatte sich ein Schmerz abgezeichnet, als würde ihm jemand ohne Betäubung den Brustkorb öffnen und das Herz herausreißen. Er hatte nach Luft gerungen, war in die Knie gegangen und laut schluchzend auf dem Boden zusammengebrochen.
    Jetzt stand Johannes – gestützt von meinem Vater und Tobias – mit hängenden Schultern an Kerstins offenem Grab. Tränen liefen in einem unaufhörlichen Strom über sein Gesicht und tropften auf sein schwarzes Sakko. Carl hatte sich entschuldigt, es wäre über seine Kräfte gegangen, an der Beerdigung teilzunehmen.
    Immer wieder schaute ich zu Amelie. Ich machte mir Sorgen um sie. Zwar hatte sie bisher alles tapfer überstanden, dennoch war ich mir sicher, dass die Ereignisse ihre Spuren hinterlassen würden. Meine Mutter hatte sie bekniet, sich um des Babys willen zu schonen. Aber Amelie war nicht davon abzubringen gewesen, ihre Freundin zu Grabe zu tragen. Sie und Kerstin waren wie Pech und Schwefel gewesen.
    Adrian hatte den Arm um seine Frau gelegt. Dabei machte er den Eindruck, als bräuchte er selbst jemanden, der ihn in den Arm nahm. Er suchte meinen Blick und hielt sich sekundenlang daran fest, bis er wieder auf das Erdloch in unserer Mitte starrte. Plötzlich drückte jemand meine Hand. Elly nickte mir mit Tränen in den Augen zu.
    Zehn Minuten später warf ich Blumen und Sand auf Kerstins Sarg, verabschiedete mich von Elly, die es eilig hatte, da sie ihren Mann noch zum Arzt fahren musste, und lief ziellos über den Friedhof. Ich brauchte Bewegung. Aus der Ferne warf ich immer wieder einen Blick auf die Gruppe der Trauernden, um mich schließlich abzuwenden und Richtung Parkplatz zu gehen. Es war eine leise Ahnung, die mich dorthin zog und der ich mich nicht entziehen konnte.
    Schon von weitem sah ich den Umschlag auf der Windschutzscheibe meines Vaters. Ich beschleunigte den Schritt und vergewisserte mich, dass mich niemand beobachtete, als ich ihn unter dem Wischblatt hervorzog. Auch dieses Mal handelte es sich um ein schwarz umrandetes Kuvert. Es war zugeklebt und maschinell an Alexander Benthien adressiert, ein Absender war nicht vermerkt. Weder das Briefgeheimnis noch das drohende Donnerwetter meines Vaters konnten in diesem Moment etwas gegen das drängende Bedürfnis ausrichten, endlich herauszufinden, was es mit den Briefen auf sich hatte.
    Nach einem letzten Blick Richtung Grab riss ich den Umschlag kurzerhand auf und zog die Karte heraus. Was sich wie eine Todesanzeige

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