Die Todesbotschaft
in einem besorgten Tonfall. »Amelies Tod hat sie zutiefst getroffen. Wir alle sind völlig erschüttert davon. Jeder Einzelne von uns verzweifelt an dem Versuch, eine Erklärung für dieses entsetzliche Verbrechen zu finden.«
Jetzt verfluchte ich die Schauspielkunst eines guten Detektivs, die ich erst vor kurzem Richard Stahmer gegenüber so gelobt hatte. Es war meinem Vater ein Leichtes, mich als Opfer meiner Trauer darzustellen. Mit seinem um Verständnis bittenden Blick versuchte er, die beiden Männer zu sich ins Boot zu holen.
»Meine Tochter Finja ist Künstlerin, müssen Sie wissen. Hochsensibel und mit einer beneidenswerten Phantasie ausgestattet. Dieses Talent ist in einer Situation wie der gegenwärtigen allerdings kontraproduktiv. Es verleitet dazu, die Geschehnisse umzudeuten, im Geiste mit Erklärungen zu jonglieren. Finja konnte das schon als Kind sehr gut. Sie hat um ein Ereignis herum ungemein kreative Geschichten entwickelt, die dem Ganzen oft einen völlig anderen Anstrich verliehen. Was ich sagen will, ist, und meine Tochter möge mir das verzeihen, Finja versteigt sich da gerade in etwas, das nicht der Realität entspricht.« Er sah mich voller Mitgefühl an. »Deine Verdächtigungen entbehren jeder Grundlage. Da draußen ist kein Killer unterwegs.« Er betonte das Wort, als sei es einem Horrorfilm entlehnt.
»Wollen Sie damit sagen, dass es eine solche Todesanzeige nicht gibt?«, vergewisserte sich der Beamte.
»Das, worauf Finja anspielt, war keine Todesanzeige, sondern ein Kondolenzschreiben, das an meine Tochter Amelie adressiert und unter meinem Scheibenwischer deponiert war. Sie müssen wissen, Kerstin Schormann und Amelie waren eng befreundet. Und da wollte wohl jemand meiner jüngeren Tochter sein Beileid ausdrücken.«
»Haben Sie den Brief geöffnet?«, fragte der jüngere Beamte.
»Selbstverständlich nicht. Ich habe ihn Amelie gegeben.«
»Das stimmt nicht«, brach es aus mir heraus. »Warum sagst du so etwas?«
Für einen Moment ließ der Beamte seinen Blick auf mir ruhen. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was in ihm vorging. »Was ist mit den anderen Todesfällen, die Ihre Tochter erwähnt hat?«
»Allesamt Unfälle. Die haben mit dem Verbrechen an meiner Tochter nicht das Geringste zu tun. Es handelt sich lediglich um ein tragisches Zusammentreffen von Todesfällen. Zugegeben: ein äußerst ungewöhnliches Zusammentreffen, aber …«
»Bei dem Unfall von Cornelia und Hubert wird gegen unbekannt ermittelt«, fiel ich meinem Vater ins Wort.
»Die Ermittlungen wurden zwischenzeitlich eingestellt.« Er tat so, als bringe er geduldig immer wieder die Realität ins Spiel.
Ich wandte den Kopf ab, um mir die Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen. Je mehr ich die Fassung verlor, desto überzeugender würde mein Vater wirken. »Ich glaube einfach nicht«, sagte ich mit brüchiger Stimme, »dass Kerstin Schormann sich ihren Genickbruch tatsächlich erst bei dem Sturz zugezogen hat. Sie war zwar groß und nicht gerade ein Leichtgewicht, aber sie war überaus sportlich.« Ich sah zwischen beiden Beamten hin und her.
»Sie meinen, jemand bringt nach und nach Mitglieder Ihrer Familien um?«, fasste der Jüngere zusammen und gab sich dabei Mühe, neutral zu klingen.
Ich nickte. »Im Fall meiner Schwester sogar mit Ankündigung.« Ich sah meinen Vater an. »Fragen Sie ihn. Die Anzeige war für ihn bestimmt, auch wenn er das bestreitet. Am besten sprechen Sie auch noch mit Johannes Schormann. An seiner Windschutzscheibe steckte ebenfalls ein Umschlag. Vielleicht befand sich auch darin eine Todesanzeige.«
Mein Vater stieß einen Unmutslaut aus. »So, Finja, ich denke, es reicht jetzt. Wir haben die Herren lange genug aufgehalten.«
Der ältere Beamte schüttelte den Kopf und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Mich interessiert schon, was Ihre Tochter da anklingen lässt, Herr Benthien. Können Sie sich zu diesem Verdacht äußern? Werden Sie und Ihre Partner vielleicht erpresst? Oder gibt es möglicherweise jemanden in Ihrem privaten oder beruflichen Umfeld, der sich an Ihnen rächen will?«
In den Sekunden, bevor mein Vater antwortete, hätte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören. »Mutter und Sohn Graszhoff sind einem dieser rücksichtslosen Raser zum Opfer gefallen. Ihnen muss ich nicht sagen, wie viele davon Tag für Tag auf unseren Straßen unterwegs sind. Kerstin Schormann ist leider Gottes ihr Leichtsinn zum Verhängnis geworden. Und meine Tochter Amelie
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