Die Todesbotschaft
zerbrechen.
Roboterartig war sie mit meiner Hilfe aufgestanden, hatte geduscht und sich ein schwarzes Kleid und dazu passende Schuhe angezogen, um schließlich mit abgewandtem Blick auf dem Bett zu sitzen, während ich ihre Tasche packte. Kurz bevor wir abfuhren, wurde Elly von ihrem Mann vor unserem Haus abgesetzt, um uns in die Klinik zu begleiten. In ein schwarzes Dirndl gekleidet führte sie meine Mutter zum Auto, setzte sie hinein und schnallte sie an, bevor sie hinter ihr Platz nahm.
Für mein Empfinden war es Elly hoch anzurechnen, dass sie sich sofort nach meinem Anruf aufgemacht hatte. Ich war mir sicher, es geschah aus der Überzeugung heraus, dass so etwas Entsetzliches wie der Mord an Amelie einen Ausnahmezustand heraufbeschworen hatte, in dem es keine Rolle spielte, wer wen wann verletzt hatte. Denn meine Mutter hatte es meiner Kinderfrau von jeher nicht leichtgemacht. Wann immer Elly sich mehr als über das notwenige Maß hinaus um Amelie gekümmert hatte, war sie von meiner Mutter auf den Platz an meiner Seite verwiesen worden. Elly war für mich zuständig, meine Mutter für Amelie – eine ganz klare Trennung, an der nicht zu rütteln war. Während der Pubertät hatte ich es einmal auf den Punkt gebracht: In den Augen meiner Mutter schienen Elly und ich Menschen zweiter Klasse zu sein. Ich war Elly stets dankbar gewesen, dass sie ihren Groll über diese Verletzungen nie an mir ausgelassen hatte, sondern nach außen hin gelassen damit umgegangen war.
Während ich in der Empfangshalle der Privatklinik Jägerwinkel, die wie der Eingangsbereich eines geschmackvoll gestalteten Fünfsternehotels anmutete, die Formalitäten erledigte, ließ sich meine Mutter von Elly in ihr Zimmer begleiten. Sie hatte sich noch am Empfang von mir verabschiedet.
Übernächtigt und völlig erschöpft ließ ich mich in einen der tiefen Sessel sinken und wartete, dass Elly herunterkam. Die beruhigende Atmosphäre dieser Halle umhüllte mich wie ein wärmendes Tuch. Meine Gedanken wanderten zu Amelie. Es war seltsam: Ich wusste, dass ich traurig war, doch meine Gefühle schienen wie in Watte gepackt. Ich kam nicht an sie heran.
Als mein Handy klingelte, erkannte ich Richard Stahmers Nummer. Nicht eine Sekunde lang hatte ich daran gedacht, ihm abzusagen. Als hätte mein Leben in Berlin seit der vergangenen Nacht nicht mehr existiert. Bevor ich dazu kam, mich zu entschuldigen, sagte er, er habe sich Sorgen um mich gemacht. Wir hätten uns doch für neun Uhr verabredet. Ich nahm mich zusammen, um ihn meine Erschütterung nicht spüren zu lassen, und erklärte ihm, mir sei eine dringende persönliche Angelegenheit dazwischengekommen. Deshalb könne ich weder an diesem noch an einem der nächsten Tage vorbeikommen. Ich versprach, mich zu melden, und beendete das Gespräch. Kaum hatte ich das Handy wieder in meiner Tasche verstaut, stieg Elly aus dem Aufzug.
Sie breitete die Arme aus und umschlang mich. Elly brauchte keine Worte, um zu trösten. Eine Weile standen wir so da, bis wir uns voneinander lösten und langsam zum Auto gingen.
»Danke, dass du uns begleitet hast«, sagte ich, nachdem ich mich aus der Parklücke gefädelt hatte. »Jemand ohne deine christliche Gesinnung hätte das nicht für meine Mutter getan.«
Elly gab ein Schnaufen von sich. »Ich wünschte, mein Glaube an einen gerechten und gütigen Gott wäre noch genauso stark ausgeprägt wie diese Gesinnung. Inzwischen glaube ich eher an einen erschöpften Gott, einen, der vor den Menschen kapituliert hat. Was ich nachvollziehen könnte, wenn ich höre, was diese Bestien Amelie angetan haben.« Sie schluckte, als sei ihr übel. »Ihr die Kehle …«
Mit einer Vollbremsung brachte ich das Auto zum Stehen und übergab mich am Straßenrand. Während ich gegen das Bild anwürgte, das sich in Sekundenschnelle vor meinem inneren Auge breitgemacht hatte, strich Elly mir über den Rücken.
»Sie haben es dir nicht gesagt?«, fragte sie erschüttert.
»Ich wollte es nicht wissen.« Ich lehnte mich gegen eine Straßenlaterne und wischte mir den Mund ab.
Elly nahm mich in den Arm und hielt mich, bis ich fähig war, unsere Fahrt fortzusetzen. Erst vor der Einfahrt ihres Hauses in Osterwarngau brach ich mein Schweigen.
»Weißt du, wie oft ich Amelie als Kind den Tod gewünscht habe, weil ich ihr die Liebe unserer Mutter geneidet habe?«, fragte ich, ohne sie anzusehen.
Elly betrachtete mich von der Seite und legte ihre Hand auf meine. »Jedes Kind wünscht
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