Die Todesgruft von Bally Moran
schaurigen Gerüchte, die man sich vom Schloß erzählte. Aber das meiste halte ich für weit übertrieben und einfach unmöglich.« Er machte ein zerknirschtes Gesicht, den er hätte Jesse gern etwas Befriedigenderes erzählt.
Jesse gab indessen nicht so schnell auf. Sie wollte nicht glauben, daß keiner ihr helfen konnte. »Hat Onkel Patrick Ihnen nie etwas über das Schloß erzählt?« bohrte sie weiter.
»Nein...« Mr. Quigley zögerte ein wenig und strich sich mit leerem Blick über das spärliche Haar. Dann lächelte er plötzlich auf die für ihn typische scheue Art. »Einmal sagte er allerdings etwas – und ich erinnere mich daran, weil ich es so komisch fand. Er sagte:
›Zum Kuckuck, ich bin doch nicht verflucht! Das gibt’s doch nicht.‹
Sie wissen doch, daß man hier in der Gegend behauptet, das Schloß und die Familie wären verflucht? Ach, Verzeihung...« Er hielt verwirrt inne, als er den verzweifelten Ausdruck sah, der plötzlich in Jesses Augen trat.
Aber Jesse beruhigte ihn. »Schon gut, Mr. Quigley. Hat mein Onkel das nach seiner Flucht aus dem Schloß gesagt?«
Quigley blickte unsicher von Peggy zu Jesse, doch bevor er antworten konnte, hob der Professor mißmutig den Kopf und sah auf Molly, die lärmend in der Küche herumwirtschaftete.
»Müssen Sie denn einen solchen Krach machen, daß uns bald die Decke auf den Kopf fällt?« schimpfte er. »Es reicht doch schon, wenn Sie mit Ihrem Geschwätz unser Trommelfell strapazieren.«
»Sie können ja hinausgehen, Martin Mulcahy. Ein Mann wie Sie ist in einer Küche sowieso zu nichts gut«, konterte sie giftig. »Ich muß jedenfalls den jungen Damen was Vernünftiges kochen. Schauen Sie sich doch die armen Dinger an, die sind schon ganz blaß, weil sie nichts Richtiges im Magen haben.«
»Übrigens, Professor, ich habe da noch eine Frage.« Peggy wollte dem leidigen Hickhack der beiden ein Ende bereiten. »Warum gibt es eigentlich nur zwei Stockwerke? Das Gebäude ist doch zumindest vier Stockwerke hoch. Was ist über dem zweiten Stock?«
»Nichts. Nur das Dach. Früher existierten natürlich noch zwei weitere Stockwerke, aber die verfielen mit den Jahren, und als man das Schloß renovierte, richtete man nur die unteren zwei wieder her.«
Er wandte sich erneut seinen Briefen zu, Molly klapperte etwas gedämpfter und versorgte Jesse und Peggy mit Einzelheiten über Andrew Quigleys Kindheit, während das Essen garte. Quigley saß stumm dabei, lächelte sein scheues Lächeln und rieb sich ab und zu verlegen die Stirn.
»Er war immer ein ruhiger Junge«, sinnierte sie. »Und ich war froh, daß er sich mit unserem Dinty angefreundet hatte. Unser Dinty war nämlich ein ganz wilder. Kein schlechter Junge«, versicherte sie hastig, »nur schrecklich lebhaft. Und Andy wollte auch unbedingt studieren, obwohl das gar nicht leicht für ihn war.«
Sie hätte noch stundenlang so weitergeredet, wenn Quigley sie nicht mit einem Räuspern unterbrochen hätte. »Mrs. Mullins, das interessiert die Damen doch vielleicht gar nicht.«
»Warum nicht? Wer sich seinen Erfolg so schwer erkämpfen mußte wie Sie, verdient auch mal ein Lob. Und Sie haben es doch schwer gehabt ohne den Vater und mit der kranken Mutter und nie ein bißchen Vergnügen.« Ein Topf lief zischend auf dem Herd über und forderte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
Der Braten war zart und schmeckte köstlich. Jesse schien jedoch so erschöpft, daß sie kaum einen Bissen hinunterbrachte. Aber Peggy genoß das Essen, und Mrs. Mullins gerötetes Gesicht strahlte bei ihrem wiederholten Lob. Selbst der Professor hielt damit nicht zurück. »Beim Kochen ist Molly nicht zu schlagen«, gestand er ihr zu. »Sie macht aus den einfachsten Sachen ein königliches Mahl.« Während er sprach, lockerte er verstohlen den Gürtel.
Peggy stieß den Stuhl zurück und stand auf. »Für Jesse wird es Zeit, sich hinzulegen. Ich begleite sie und helfe ihr ein bißchen. In ein paar Minuten bin ich wieder unten.«
»Peggy, ich bin... «
»Du fällst vor Müdigkeit bald um. Unsere Gäste nehmen dir das bestimmt nicht übel.« Jeder bemerkte die dunklen Ringe unter Jesses Augen und sah ihr besorgt nach, als sie hinter Peggy die Küche verließ.
Zehn Minuten später trat Peggy wieder in die Küche. »Verstehen Sie nun, warum ich mir soviel Sorgen um sie mache, Professor?« fragte sie. »Sie war ja völlig erledigt. Doch nun etwas anderes.« Sie wandte sich zu Mrs. Mullins. »Bevor Sie kamen, sprachen wir im Hof
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