Die Todesgruft von Bally Moran
Mulcahy, Sie vermeiden es offenbar, über die Dinge zu sprechen, die mich wirklich interessieren.«
»Tue ich das? Na schön, vermutlich haben Sie recht. Aber ich
wollte Sie nicht mit den ganzen Gerüchten durcheinanderbringen.«
»Sie müssen mir aber davon erzählen«, mahnte Jesse. »Ich muß erfahren, warum es kein Familienmitglied mehr im Schloß ausgehalten hat und was mit dem einen leeren Schlafzimmer los ist. Ich möchte wissen, warum es in dem ganzen Haus eiskalt ist und mir mit Ausnahme von der Küche und meinem Schlafzimmer überall so Angst wird, daß ich mich sterbenselend fühle.«
Jesse lächelte nicht mehr. Das schöne Gesicht war bedrückt und schien um Hilfe zu flehen.
»Ich wollte nicht unhöflich sein, wenn ich Ihnen gestern davon nichts gesagt habe«, betonte der Professor. »Ich erwähnte gestern schon, daß ich nichts von Beeinflussung halte, deshalb habe ich Sie nur ganz allgemein gewarnt. Aber wie ich sehe, haben Sie bereits Ihre Erfahrungen gemacht. Sie wissen von dem Zimmer und haben die Kälte gespürt. Ich werde Ihnen nun alles erzählen, was ich weiß. Und viel ist das nicht.«
Der Professor räusperte sich und fuhr fort: »Als Ihr Onkel anfing, das Schloß als seinen Ruhesitz herzurichten, war ich noch berufstätig. Aber ich besuchte oft meine Schwester in Conig. Damals lebte die Gute noch. Da mich das Schloß und seine Geschichte interessierte, machte ich mich bei einem meiner Besuche mit Ihrem Onkel bekannt. Er war damals ganz erfüllt von seinem Plan, den Rest seiner Tage hier auf dem Land zu verbringen, und es kam ihm sehr gelegen, über alles mit jemand zu sprechen. Aber als ich ihn Jahre danach in Dublin wiedertraf und mich wunderte, daß er doch wieder in die Stadt zurückgekehrt war, zog er es vor, darüber zu schweigen. Alles, was er sagte, war: daß ein Mann unmöglich an einem Ort leben könnte, an dem er sich fast zu Tode frieren würde.«
»Dann hat er es also auch gespürt.«
»Ja. Ich fand seine Worte damals sehr merkwürdig und habe sie nie vergessen. Als ich mich fünf Jahre später zur Ruhe setzte, habe ich deshalb begonnen, ein bißchen die Geschichte der Familie St. More zu studieren. Normalerweise hat jeder Ort, an dem es spuken soll, auch eine richtige Gespenstergeschichte. Aber von Bally Moran gab es nichts dergleichen. Natürlich wurde eine Menge darüber geredet, aber wenn man sich näher damit befaßte, war nichts Konkretes zu erfahren. Es hieß nur immer wieder, daß es im Schloß spuke. Außerdem brachte ich heraus, daß nicht nur Ihr Onkel wegen der furchtbaren Kälte das Haus verlassen hatte. Natürlich besuchte ich auch noch einmal Ihren Onkel, aber es war kein Wort aus ihm herauszulocken. Die beste Information erhielt ich von einem Geschwisterpaar. Die Eltern der beiden waren mit dem damaligen Schloßbesitzer befreundet gewesen, und der hatte ihnen angeboten, die Sommerferien hier zu verbringen. Zwei Nächte, nachdem die Familie angekommen war, weigerte sich die Mutter, noch länger zu bleiben. Auch sie soll die Kälte als Grund angegeben haben.«
»Wann war die Familie hier gewesen?«
»So um 1916, meinten sie.«
Jesse blickte Peggy an. »Aus der Zeit stammen die Kleider.« Und dann berichtete sie dem Professor kurz von den vermoderten Kleidern, die sie in Peggys Zimmer gefunden hatten.
»Die können Lizzie McGaven gehört haben. Ihr gehörte damals das Schloß, und auch sie hatte im Jahr davor versucht, hier zu leben. Wie alle anderen erwähnte sie die Kälte als Grund für ihren Auszug.«
Jesse machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. »Hat die Mutter jenes Geschwisterpaares nur die Kälte als Abreisegrund angegeben?«
»Nicht nur. Sie ist auch im Schlaf gewandelt. Das mußte übrigens jeder, der hier wohnte und nicht zur Familie gehörte.«
Peggy zuckte bei seinen Worten zusammen, und der Professor, dem nichts zu entgehen schien, wandte sich sofort fragend zu ihr. Aber sie begegnete abweisend seinem Blick, und so fuhr er ruhig fort, ohne sie jedoch aus dem Auge zu lassen: »Sie wanderten im Schlaf immer auf die hintere Galerie; zu der Stelle, wo das weiße Steinkreuz in den Boden eingelassen ist.«
»Ich habe kein Steinkreuz gesehen«, fuhr es Peggy heraus.
»Aber Sie spürten den Steinboden unter den Füßen?«
»Ja.«
»Gut. Und wenn Sie auf der Galerie stehen, befinden Sie sich auf einem Teil der dicken Grundmauern. Die oberen Wände sind längst nicht so dick«, erklärte er. »Aber achten Sie einmal darauf. Auf der hinteren
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