Die Todesgruft von Bally Moran
Halle. Er zitterte wie Espenlaub, und die hochgehaltene Lampe wackelte bedenklich, aber er schien nichts von der Angst zu spüren, die Peggy fast wahnsinnig machte. Seine Augen waren voller Energie, und die Brauen signalisierten den unbeirrbaren Entschluß, der Sache auf den Leib zu rücken.
»Dort drüben gefriert man fast zu Eis«, sagte er und deutete zu den Stufen, die zu dem langen Gang zur Schloßtür führten. »Ich mußte hierher zurückweichen.«
»Sie meinen, die Kälte will uns allen den Ausgang versperren?«
»So muß es wohl sein. Spüren Sie es nicht auch?«
Er hatte recht. Peggy war ein paar Schritte auf den Ausgang zugegegangen und wurde sofort von einer eisigen Luftwelle zurückgedrängt. Genau das gleiche mußte Jesse gefühlt haben, als sie in das leere Schlafzimmer getreten war. Die Kälte lähmte den Atem, ließ jeden Muskel erstarren.
»Sie ist hier, Professor. Sie ist hier«, stieß sie fast flüsternd hervor.
»Ja. Ich weiß. Aber was will sie von uns?« Peggy starrte zu dem hohen Türbogen, der zum Ausgang führte. Es gab keinen Hinweis auf irgend etwas, das die Kälte verursachen könnte; auch die kleine Lampe auf dem Betpult brannte ruhig wie immer.
Peggy fuhr erschrocken herum, als sie plötzlich Dans Stimme hinter sich hörte. »Es scheint noch kälter zu sein als zuvor«, stellte er fest. Aber keiner von den beiden antwortete ihm, denn eine neue Kältewelle preßte sich gegen sie und zwang sie noch weiter zurück.
»Keiner von uns kann hinaus, Dan!« Peggy konnte die Panik in der Stimme nicht mehr unterdrücken.
»Das ist doch lächerlich.« Dan machte ein paar Schritte vorwärts und prallte zurück, als ob er gegen eine Steinmauer gestoßen wäre.
»Mein Gott!« Man hätte über sein verblüfftes Gesicht lachen können, wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre. »Peggy, geh sofort auf die Galerie zurück!« Er starrte wie die anderen beiden umher, um eine Erklärung zu finden. »Auf der Galerie ist es nicht so kalt. An einer Stelle ist es sogar ausgesprochen warm.«
Der Professor horchte sofort auf. »Was? Da soll’s an einer Stelle warm sein?«
»Das habe ich auch bemerkt.« Peggy nickte.
»Wo ist das?«
»Wo die Lampen zu flackern anfangen. Ihre ist doch bestimmt auch fast ausgegangen.«
Sein plötzliches Interesse ließ Peggy hoffen. Hier gab es vielleicht endlich einen Anhaltspunkt, der zu einer Lösung führte. Die Angst vor Catherine, die Angst, in diesem Schloß sterben zu müssen, wuchs in Peggy von Sekunde zu Sekunde.
Der Professor hastete bereits die Stufen zur Galerie hinauf. Während sie ihm nacheilten, sahen sie, daß er an der Stelle, wo das Licht bedenklich flackerte, stehenblieb und auf den Boden starrte. Als sie ihn erreichten, entdeckten sie, daß er auf dem im Boden eingelassenen Kreuz stand. Peggy hielt ihre Lampe über den Bereich des Kreuzes, und die Flamme begann ebenfalls sofort zu zucken. Aber sie sie spürte auch die wohltuende Wärme.
»Was hat das zu bedeuten?« wisperte sie.
Der Professor wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht war Catherine einfach nur eine gläubige Frau und verschont deshalb das Kreuz von ihrem Bann.« Eine tiefe Trostlosigkeit überzog plötzlich sein Gesicht. »Noch vor einer Minute hoffte ich, endlich den Anfang zur Lösung gefunden zu
81 haben, aber nun gebe ich langsam auf. Was nützen uns all diese vagen Erkenntnisse, wenn jene Frau unser Leben will? Ich schlage vor«, fügte er gepreßt hinzu, »daß einer von uns versucht, aus dem Schloß zu kommen, um Hilfe zu holen.«
»Das ist genau das, was ich vorhabe«, stimmte Dan zu. »Aber bevor ich den Versuch unternehme, hole ich Jesse hierher aufs Kreuz. Das scheint der sicherste und wärmste Ort im ganzen Haus zu sein.«
»Ja, das wird wohl das beste sein.« Der Professor zuckte hilflos die Achseln. »Mir tut es schrecklich leid, daß ich nicht helfen kann.«
»Dasselbe könnte ich sagen. Ich hätte Ihnen viel früher glauben sollen, Professor. Dann hätte ich Peggy und Jesse schon längst aus dem Schloß gebracht und nicht erst gewartet, bis es so schlimm wird.«
Der Professor blieb niedergeschlagen auf dem Kreuz stehen, während Dan ins Schlafzimmer lief. Peggy ließ sich langsam auf den Boden nieder. Die Wärme machte sie auf einmal schrecklich müde. Sie schloß die Augen und dachte über die getroffene Entscheidung nach. Wie wollte Dan aus dem Schloß kommen’? Er mußte durch die Kältewand. Aber wenn ihr auch nichts einfiel, er
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