Die Todesgruft von Bally Moran
Frieden?«
»Kaaanst.. .niiicht... blei... bleiben...«
Die beiden Mädchen standen zusammengedrängt und wie gebannt von der gräßlichen stöhnenden Stimme, die sich wie das Klagen des Windes anhörte, wenn er um das Schloß pfiff. Die neue Drohung traf sie wie ein entsetzlicher Schock; hatten sie doch geglaubt, daß alle Probleme endlich gelöst gewesen seien.
»Ist das die Stimme, die du in deinem Zimmer gehört hast?« flüsterte Peggy.
Jesse schien sie nicht zu verstehen. »Hör auf!« kreischte sie. »Laß uns endlich in Ruhe!« Sie preßte die zu Fäusten geballten Hände an den Mund, alles Blut war aus dem Gesicht gewichen, und die Augen blickten groß und glasig ins Leere. So stand sie eine lange Sekunde, dann sank sie lautlos zu Boden.
Jesses Ohnmacht riß Peggy aus ihrer Erstarrung. Sie kniete hastig nieder, fühlte Jesses Puls, schlug ihr ein paarmal rechts und links auf die Wangen, aber die Lider in dem totenbleichen Gesicht zuckten nicht einmal.
Ich muß sie hier rauskriegen, dachte sie und überlegte verzweifelt, wie sie das schaffen sollte. Sie packte Jesse unter den Schultern, und nach mehreren vergeblichen Bemühungen gelang es ihr, Jesse zum Teil hochzuheben und gegen ihre Knie gestützt über den Boden zu zerren. Sie stolperte, stürzte zu Boden und stolperte gleich wieder. Und unablässig begleitete das stöhnende Klagen ihre verzweifelten Anstrengungen.
»Kaaannst... niiicht... blei... bleiben ... Schliiimm ... Duuu... gaaabst... iiihr... Ruuuhe... schliiimm ...«
Peggy hätte am liebsten wie Jesse zurückgeschrien. Aber sie brauchte ihre ganze Kraft, ihren ganzen Willen, um mit Jesse aus dieser entsetzlichen Halle zu kommen. Stück für Stück schleifte sie den wie leblosen Körper ihrer Schwägerin zu den Eingangsstufen. Es war unendlich mühsam und ging unendlich langsam. Jesses Kleid verfing sich in jeder Unebenheit des ausgetretenen Steinbodens. Peggys Fingernägel drangen in Jesses Achselhöhlen, und sie konnte nicht begreifen, daß der Schmerz nicht Jesse aus der Ohnmacht holte.
Nachdem sie Jesse vorsichtig die Stufen hinuntergezogen hatte, blieb sie stehen, rang nach Atem und starrte unglücklich den langen Gang entlang. Wie sollte sie dieses Stück noch schaffen? Es war zweimal so lang wie das Stück, das sie bis hierher zurückgelegt hatte. Im gleichen Augenblick wurde ihr bewußt, daß das Klagen nicht mehr von allen Seiten kam. Hier im Gang war es still; die gräßliche Stimme tönte jetzt nur noch von der Halle her. Die Erkenntnis gab ihr neue Kraft und feuerte sie an, auch das letzte Stück noch zu schaffen. Wie sie es fertiggebracht hatte, konnte sie hinterher nicht mehr sagen, aber sie erreichte mit ihrer Last die Tür, konnte sie noch mit einem letzten Kraftaufwand aufstoßen und Jesse auf das weiche Gras ziehen, dann sank sie bewußtlos zu Boden.
Als sie wieder zu sich kam, hatte sich an Jesses Zustand nichts geändert, aber sie selbst spürte, wie sich ihr Herz langsam beruhigte und der Atem langsamer wurde. Sie stützte sich auf einen Ellbogen und blickte ängstlich in Jesses bleiches Gesicht. Eine normale Ohnmacht konnte unmöglich so lange dauern, überlegte sie. Sie verstand nichts davon, aber für sie lag Jesse wie im Koma da. Peggy sprang auf, riß ein Taschentuch aus der Rocktasche und rannte zum Wassertrog, um es naß zu machen. Wieder bei Jesse, drückte sie das nasse Tuch gegen deren Gesicht und klopfte mit raschen Schlägen dagegen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, daß die langen Wimpern sich bewegten. Sie raste zum Trog zurück und sah sich verzweifelt nach einem Behälter um, mit dem sie Wasser zu Jesse transportieren könnte. In Mollys Wagen fand sie schließlich einen Eimer, füllte ihn zur Hälfte, rannte zu Jesse und schüttete ihn ihr über das Gesicht. Diesmal bewegten sich die Wimpern tatsächlich und Jesse öffnete die Augen, aber der starre, leblose Blick machte Peggy fast genau soviel Angst wie der komatöse Zustand, und sie hätte beinah vor Erleichterung zu heulen angefangen, als die Augen sich ihr langsam zukehrten, und Jesses Lippen das erste Wort formten.
Sie warteten über eine Stunde im Schloßhof, bis Dan endlich zurückkam. Fast die ganze Zeit hatte sich Peggy mit Jesse herumgestritten, und das nur, weil sie mit Jesse zusammen augenblicklich das Schloß verlassen wollte. Sie hatte Jesse vor Augen geführt, daß sie beide nicht noch einmal solch entsetzliche Nächte wie die durchlebten aushalten könnten. Ihr eigenes
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