Die Todesliste
die Toiletten und urinierten, wie und wo die Natur es verlangte. Die Hitze erledigte den Rest. Das Öl für die Generatoren und somit für den Betrieb der Klimaanlagen ging irgendwann aus. Tiefgefrorene Lebensmittel tauten auf und verfaulten, sodass die Besatzung sich auf somalische Art von den Ziegen ernähren musste, die an Deck geschlachtet wurden. Als Ablenkung gab es nur Angeln, Brett- und Kartenspiele und das Lesen, aber damit war die Langeweile nicht in Ewigkeit zu bekämpfen.
Das Meeting endete um zweiundzwanzig Uhr. Wenn die Malmö mit voller Kraft fuhr, was sie wahrscheinlich tat, würde sie gegen Mittag Londoner Zeit in die Bucht von Garacad einlaufen. Bald danach würde man erfahren, wer sie gekapert hatte und wer als Unterhändler auftreten würde. Gareth würde sich, falls nötig, vorstellen, und das komplizierte Menuett würde beginnen.
Als Opal in Marka eintraf, döste die Stadt in der glühenden Nachmittagshitze. Er suchte das ummauerte Grundstück, und als er es gefunden hatte, hämmerte er an das Tor. Dahinter döste man nicht. Er hörte Stimmen und schnelle Schritte, als hätte man jemanden erwartet, der sich verspätete.
Die Luke in dem schweren Holztor öffnete sich, und ein Gesicht spähte heraus. Ein arabisches, kein somalisches Gesicht. Ein Blick ging über die Straße, aber da war kein Pick-up zu sehen. Der Blick richtete sich auf Opal.
»Ja?«, blaffte eine Stimme, erbost darüber, dass ein Niemand hier Zugang verlangte.
»Ich habe Papiere für den Scheich«, sagte Opal auf Arabisch.
»Was für Papiere?« Die Stimme klang feindselig und neugierig zugleich.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Opal. »Der Mann auf der Straße hat mir nichts anderes gesagt.«
Hinter dem Tor begann eine Diskussion. Das erste Gesicht verschwand, und ein anderes erschien. Weder Somali noch Araber. Aber der Mann sprach Arabisch. Ein Pakistani?
»Woher kommst du, und was sind das für Papiere?«
Opal wühlte in seiner Windjacke und zog die Tasche heraus.
»Ich komme aus Marka. Ich habe auf der Straße einen Mann getroffen. Er hatte einen Unfall mit seinem Pick-up gehabt. Er hat mir das hier gegeben und mir gesagt, wie ich hierherfinde. Mehr weiß ich nicht.«
Er versuchte, die Tasche durch den Torspalt zu schieben.
»Nein, warte«, rief eine Stimme, und das Tor öffnete sich. Dahinter standen vier Männer mit wilden Bärten. Er wurde gepackt und hineingezerrt. Ein halbwüchsiger Junge rannte hinaus, holte sein Motorrad und schob es in den Hof. Das Tor schloss sich. Zwei Mann hielten ihn fest. Der mutmaßliche Pakistani überragte ihn. Er sah die Papiere durch und sog zischend die Luft durch die Zähne.
»Woher hast du das, du Hund? Was hast du mit unserem Freund gemacht?«
Opal spielte den verängstigten Niemand, was ihm nicht schwerfiel.
»Von dem Mann, der den Pick-up gefahren hat, Herr. Ich fürchte, er ist tot –«
Weiter kam er nicht. Mit voller Wucht traf ihn ein Schlag der rechten Hand und warf ihn zu Boden. Er hörte wirres Geschrei in einer Sprache, die er nicht verstand, obwohl er neben seiner hebräischen Muttersprache auch Englisch, Somali und Arabisch beherrschte. Ein halbes Dutzend Hände riss ihn hoch und zerrte ihn weg. An der Mauer stand ein Schuppen. Er wurde hineingestoßen und hörte, wie ein Riegel vorgeschoben wurde. Drinnen war es dunkel, und es stank. Er wusste, er musste seine Rolle weiterspielen. Er ließ sich auf einen Haufen alte Säcke fallen und vergrub das Gesicht in den Händen – die universale Haltung der ratlosen Niederlage.
Erst nach einer halben Stunde kamen sie zurück. Zwei oder drei, die wie Bodyguards aussahen, aber auch einer, den Opal noch nicht gesehen hatte. Der Mann war tatsächlich Somali und sprach in kultiviertem Ton. Vielleicht war er gebildet. Er winkte, und Opal stolperte blinzelnd hinaus in den grellen Sonnenschein.
»Komm«, sagte der Somali, »der Scheich möchte dich sehen.«
Er wurde unter strenger Bewachung in das Hauptgebäude dem Tor gegenüber eskortiert. Im Eingangsflur wurde er von erfahrenen Händen gründlich durchsucht. Man nahm ihm die abgegriffene Brieftasche ab und gab sie dem Somali. Der nahm die üblichen Ausweispapiere heraus, betrachtete sie und verglich das körnige Foto mit Opals Gesicht. Dann nickte er, steckte die Brieftasche ein und ging davon. Opal wurde hinterhergeschoben.
Sie kamen in ein gut eingerichtetes Wohnzimmer. Ein Ventilator drehte sich unter der Decke. An einem Schreibtisch voller Papier und
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