Die Todesliste
Dschimali winkte dem Kapitän, und sie gingen auf die Brücke. »Du steuern Garacad, du leben.«
Der Kapitän konsultierte seine Seekarten, nahm an, dass es sich um die somalische Küste handelte, und fand das Dorf, hundert Meilen weit südlich von Eyl, einer weiteren Piratenstadt. Er berechnete einen ungefähren Kurs und trat ans Steuer.
Eine französische Fregatte von A l’Indien entdeckte sie als Erste, kurz nach Tagesanbruch. Sie ging mehrere Kabel weit backbords in Position und reduzierte ihre Fahrt, um in Formation zu bleiben. Der französische Kapitän hatte nicht vor, seine Marineinfanteristen an Bord der Malmö zu schicken, und das wusste Dschimali. Von der Brückennock aus spähte er über das Wasser und forderte die Ungläubigen fast zu einem Versuch heraus.
Weit entfernt von dem scheinbar harmlosen Schifffahrtsspektakel einer französischen Fregatte, die einen schwedischen Frachter eskortierte, während ein taiwanesischer Trawler in großem Abstand folgte, war ein Wirbelsturm von elektronischer Kommunikation im Gange.
Das automatische Identifikationssystem der Malmö war sofort gehört worden. In Dubai war es die britische Maritime Trade Operations, in Bahrain die amerikanische MARLO , die Maritime Liaison, die das Signal überwachte. Ein Dutzend Kriegsschiffe der NATO und der EU waren auf das Problem aufmerksam gemacht worden, doch wie Dschimali wusste, würde keins angreifen.
Die Betriebszentrale der Andersson Line in Stockholm war Tag und Nacht besetzt, und sie wurde sofort informiert. Die Reederei rief die Malmö . Dschimali gab Kapitän Eklund zu verstehen, er könne den Anruf annehmen, müsse ihn aber auf den Lautsprecher legen und dürfe nur Englisch sprechen. Bevor er ein Wort sagte, wusste Stockholm schon, dass er vor bewaffneten Somalis stand und jedes Wort mit Vorsicht zu wählen war.
Kapitän Eklund bestätigte, dass die Malmö in der Nacht gekapert worden sei. Seine Leute seien in Sicherheit und würden gut behandelt. Es gebe keine Verletzten. Sie hätten Befehl, zur somalischen Küste zu fahren.
Der Reeder Harry Andersson wurde beim Frühstück in seinem palastartigen Wohnsitz in einem ummauerten Park in Östermalm, Stockholm, alarmiert. Während sein Wagen vorgefahren wurde, zog er sich an und fuhr geradewegs in seine Betriebszentrale. Der Flottencontroller der Nachtschicht war im Dienst geblieben. Er gab wieder, was die Schutzflotte und Kapitän Eklund ihm hatten sagen können.
Mr. Andersson war ein sehr erfolgreicher und damit wohlhabender Mann geworden, weil er unter anderem zwei nützliche Talente besaß. Zum einen konnte er sich äußerst schnell an eine Situation anpassen und einen Handlungsplan formulieren, der auf den Realitäten, nicht auf Fantasien basierte. Zum Zweiten konnte er diesen Plan dann auch verwirklichen.
In tiefes Nachdenken versunken, stand er mitten in seiner Betriebszentrale. Niemand wagte ihn zu stören. Sein Schiff war von Piraten gekapert worden, sein erstes Schiff. Ein bewaffneter Angriff auf hoher See würde zu einem Massaker führen und war schlicht inakzeptabel. Die Malmö würde also zur somalischen Küste fahren und dort vor Anker gehen müssen. Seine erste Pflicht galt seinen fünfzehn Angestellten, und an zweiter Stelle kam nach Möglichkeit die Rettung des Schiffs und der Ladung. Und schließlich gab es noch einen unter diesen Angestellten, an den er denken musste. An seinen Sohn.
»Mein Wagen soll vorfahren«, sagte er. »Ruft Björn an, wo immer er ist, und sagt ihm, er soll unverzüglich das Flugzeug startklar machen. Flug nach Northolt, London. Bucht mir eine Suite im Connaught. Hannah, hast du deinen Pass dabei? Dann komm mit.«
Ein paar Minuten später saß er mit Hannah, seiner persönlichen Assistentin, auf dem Rücksitz seines Bentley und raste zum Flughafen Bromma. Mit seinem Mobiltelefon plante er die unmittelbare Zukunft.
Jetzt war es ein Fall für die Versicherung. Andersson war bei einem Spezialkonsortium von Lloyds versichert, und dort würden sie sich starkmachen, denn es ging nun um ihr Geld. Dafür bezahlte er ihnen jedes Jahr ein Vermögen.
Noch bevor er in der Luft war, erfuhr er, dass der von den Versicherern bevorzugte Verhandlungsführer – und sie hatten einschlägige Erfahrungen – eine Anwaltsfirma namens Chauncey Reynolds war, die auf eine Reihe erfolgreicher Rückgabeverhandlungen zurückblicken konnte. Er würde in London sein, lange bevor sein Schiff die somalische Küste erreichte. Sein Learjet war noch
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