Die Todesliste
mit dem Fang von ein paar Thunfischen.
Angefangen hatten sie damit, Handelsschiffe zu kapern, die in Küstennähe vorüberfuhren. Mit der Zeit und zunehmender Erfahrung waren sie immer weiter nach Osten und Süden vorgestoßen. Anfangs war die Beute klein gewesen, sie hatten ungeschickt verhandelt, und Koffer mit Dollarscheinen waren von leichten Flugzeugen, die aus Kenia heraufgekommen waren, in vereinbarten Zonen über dem Meer abgeworfen worden.
Aber an dieser Küste vertraut keiner keinem. Unter diesen Dieben gibt es keine Ehre. Schiffe, die von einer Gruppe gekapert worden waren, wurden von einem anderen Clan gestohlen, während sie vor Anker lagen. Rivalisierende Banden prügelten sich um schwimmende Geldkoffer. Schließlich einigte man sich auf eine Art Verfahren.
Die Besatzung eines aufgebrachten Schiffes wurde selten oder nie an Land gebracht. Damit der Anker in der donnernden Brandung nicht schleifte, blieben die Schiffe zwei Meilen weit vor der Küste. Offiziere und Mannschaft lebten an Bord unter einigermaßen erträglichen Bedingungen, jedoch von einem Dutzend Piraten bewacht, während die Verhandlungen zwischen den Oberen – dem Schiffseigner und dem Clanchef – sich in die Länge zogen.
Aufseiten des Westens wurden einige Versicherungsgesellschaften, Anwaltsfirmen und Unterhändler durch Erfahrung zu Experten. Auf der somalischen Seite übernahmen ausgebildete Unterhändler – die nicht nur Somalis sein, sondern auch dem richtigen Clan angehören mussten – die Verhandlungen, die inzwischen mithilfe moderner Technologie geführt wurden, mit iPhone und Computer. Auch das Geld wurde nur noch selten wie eine Bombe aus großer Höhe abgeworfen. Die Somalis hatten Nummernkonten, von denen das Geld unverzüglich verschwand.
Mit der Zeit lernten die Unterhändler beider Seiten einander kennen. Allen ging es nur darum, ihre Aufgabe zu erledigen. Aber die Somalis hatten die Trümpfe in der Hand.
Für den Versicherer war eine verspätete Ladung eine verlorene Ladung. Für die Reederei bedeutete ein Schiff, das kein Geld verdiente, einen Betriebsverlust. Wenn man die Notlage der Besatzung und die Verzweiflung ihrer Familien dazurechnete, kam es dringend darauf an, die Angelegenheit zu einem schnellen Ende zu bringen. Das wussten die somalischen Piraten, und sie hatten alle Zeit der Welt. Das war die Grundlage für ihre Erpressung. Manche Schiffe lagen jahrelang vor der Küste.
Gareth Evans hatte in zehn Fällen die Freigabe von Schiffen und Ladungen mit unterschiedlichem Wert ausgehandelt. Er hatte Puntland und seine verworrenen Stammesstrukturen studiert, als wollte er darüber promovieren. Als er hörte, dass die Malmö Kurs auf Garacad genommen hatte, wusste er gleich, welcher Stamm diesen Küstenabschnitt kontrollierte und aus wie vielen Clans er bestand. Mehrere von denen benutzten denselben Unterhändler, einen geschmeidigen, urbanen Somali, der an einer Universität im amerikanischen Mittelwesten studiert hatte und Mr. Ali Abdi hieß.
Das alles erklärte man Harry Andersson, während sich der Sommerabend auf London herabsenkte und die Malmö auf der anderen Seite der Welt westwärts auf Garacad zusteuerte. Halb verzehrte Fertiggerichte standen auf dem polierten Konferenztisch, und Mrs. Bulstrode, die Tea Lady, die sich zu Überstunden bereitgefunden hatte, servierte eine Ladung Kaffee nach der anderen.
Gareth Evans bekam einen Raum, der als Einsatzzentrale dienen sollte. Wenn ein neuer somalischer Unterhändler eingesetzt wäre, würde Kapitän Eklund aus Stockholm erfahren, welche Londoner Nummer er anrufen sollte, um die Kugel ins Rollen zu bringen.
Gareth Evans studierte die Malmö und ihre Ladung aus blitzblanken neuen Autos in allen Einzelheiten und rechnete bei sich aus, dass sie in der Lage sein sollten, sich auf fünf Millionen Dollar zu einigen. Er wusste, dass die erste Forderung maßlos überhöht sein würde. Er wusste auch, dass eifriges Einverständnis katastrophale Folgen haben würde. Die Forderung würde sich sofort verdoppeln. Tempo zu verlangen, wäre ebenfalls ein Eigentor, denn auch dann würde sich der Preis verdoppeln. Die gefangene Besatzung hatte eben Pech. Sie würde geduldig abwarten müssen.
Aus den Berichten heimgekehrter Seeleute ging hervor, dass ein einstmals blitzsauberes Schiff im Laufe der Wochen von den Somalis an Bord, hauptsächlich ungebildeten Stammesangehörigen aus den Bergen, nach und nach in ein stinkendes Pestloch verwandelt wurde. Sie ignorierten
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