Die Todesliste
dessen Tisch die Anfrage des Spürhunds lag. Der Prediger mochte zwar vernichtet sein, hatte der Spürhund ihm mitgeteilt, aber das sei nicht genug. Er habe zu viel Blut an den Händen. Jetzt müsse er getötet werden – und dazu beschrieb er mehrere Optionen. Gray Fox würde damit zum J-SOC -Kommandanten persönlich gehen, zu Admiral McRaven, und er war sicher, die Vorschläge würden ins Oval Office wandern, wo sie diskutiert und beschlossen würden.
Wenige Minuten nachdem die E-Mail in Marka abgeschickt worden war, hatte man die Echtheit des Textes nachgewiesen und den genauen Standort der beiden Computer und ihrer Eigentümer ermittelt. Der Prediger war zweifelsfrei lokalisiert, die Komplizenschaft Mustafa Dardaris auf allen Ebenen erwiesen.
Noch innerhalb von vierundzwanzig Stunden nahm Gray Fox über die abhörsichere Leitung von TOSA zur Botschaft wieder Kontakt mit dem Spürhund auf.
»Ich habe es versucht, Spürhund, aber die Antwort ist Nein. Der Präsident hat den Raketenbeschuss des Anwesens untersagt. Teils wegen der dichten Zivilbevölkerung ringsherum und teils wegen der Anwesenheit Opals auf dem Gelände.«
»Und der zweite Vorschlag?«
»Auch hier ein Nein. Eine Landung am Strand wird es nicht geben. Nachdem die Schabaab Marka wieder eingenommen haben, wissen wir noch nicht, wie stark und wie gut bewaffnet sie dort sind. Die Militärführung befürchtet, wenn der Prediger erst in dem Labyrinth der Gassen verschwunden ist, haben wir ihn für immer verloren. Das Gleiche gilt für eine Hubschrauberlandung auf dem Dach wie bei bin Laden. Keine Ranger, keine SEAL s, nicht mal die Night Stalkers. Es liegt zu weit entfernt von Dschibuti und Kenia, und von Mogadischu aus wäre es zu öffentlich. Außerdem besteht die Gefahr eines Abschusses. Die Worte ›Blackhawk Down‹ rufen immer noch Albträume hervor. Tut mir leid, Spürhund. Ausgezeichnete Arbeit. Sie haben ihn identifiziert, aufgespürt und diskreditiert. Aber ich schätze, das war’s. Der Scheißkerl sitzt in Marka und wird kaum herauskommen, es sei denn, Sie hätten einen verdammt guten Köder. Dazu kommt das Problem mit Opal. Ich glaube, Sie sollten packen und nach Hause kommen.«
»Er ist noch nicht tot, Gray Fox. Er hat ein Meer von Blut zu verantworten. Mag sein, dass jetzt Schluss mit den Predigten ist, doch er ist immer noch ein gefährlicher Scheißkerl. Er könnte sich nach Westen absetzen, nach Mali. Lassen Sie mich den Job zu Ende bringen.«
In der Leitung war es still. Dann sprach Gray Fox wieder.
»Okay, Spürhund. Noch eine Woche. Dann packen Sie Ihren Kram zusammen.«
Als er auflegte, begriff der Spürhund, dass er sich verrechnet hatte. Durch die Zerstörung der Glaubwürdigkeit des Predigers in der Welt des islamistischen Fundamentalismus hatte er seine Zielperson aus ihrem Schlupfloch ins Freie treiben wollen. Der Mann sollte auf der Flucht vor seinen eigenen Leuten sein, ohne jede Deckung, ein Gejagter. Von seinem eigenen Vorgesetzten zurückgepfiffen zu werden, damit hatte der Spürhund nicht gerechnet.
Unversehens stand er vor einer Gewissenskrise. Ungeachtet seiner Meinung als Bürger, als Offizier und als U. S. Marine besaß sein Oberkommandierender seine absolute Loyalität. Aber hier konnte er nicht gehorchen.
Er hatte einen Auftrag bekommen, und der war noch nicht beendet. Man hatte ihm eine Mission gegeben, und er hatte sie nicht erfüllt. Außerdem hatte sich etwas geändert. Jetzt ging es auch um eine persönliche Vendetta. Er stand in der Schuld eines geliebten alten Mannes auf einer Intensivstation in Virginia Beach, und er gedachte sie zu bezahlen.
Zum ersten Mal seit der Kadettenschule dachte er daran, den Dienst beim Marine Corps zu quittieren. Ein Zahntechniker, von dem er noch nie gehört hatte, rettete ein paar Tage später seine Karriere.
Al-Afrit hielt sein Horrorbild noch zwei Tage zurück, aber als es in der Einsatzzentrale bei Chauncey Reynolds plötzlich auf dem Monitor erschien, waren alle starr vor Schreck. Gareth Evans hatte mit Mr. Abdi gesprochen, und natürlich ging es dabei um Lösegeld und Zeitpläne.
Abdi war von fünfundzwanzig auf zwanzig Millionen heruntergegangen, aber die Zeit wurde lang, zumindest für die Europäer. Die Verhandlungen dauerten jetzt eine Woche – für die Somalis ein chronologischer Fliegenschiss. Al-Afrit verlangte das ganze Geld, und er wollte es sofort. Abdi hatte ihm erklärt, der schwedische Schiffseigner ziehe zwanzig Millionen nicht in Betracht. Evans
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