Die Todesliste
Zielfernrohr auf die Blechkolonnen, die unter ihm vorüberzogen. Wenn jemand, der von hinten herankam, sehen konnte, was der Mann zwischen den beiden offenen Türen tat, traute er entweder seinen Augen nicht oder war zu sehr damit beschäftigt, mit seinem Lenkrad zu kämpfen und über die Schulter nach hinten zu schauen, damit er beim Ausscheren nicht gerammt wurde.
Um diese Zeit, um Viertel nach sieben, ist fast jedes zehnte Fahrzeug, das unter der Brücke vorbeifährt, ein Pendlerbus. Die DC Metro betreibt mehrere; manche sind blau, andere orange. Die orangefarbenen gehören zur Linie 23C, die von der Metrostation Rossley bis hinaus nach Langley, Virginia, fährt. Die Endstation liegt vor dem Einfahrtstor des großen Gebäudekomplexes, der als CIA bekannt ist.
Der Verkehr unter der Brücke staute sich nicht, sondern floss langsam und Stoßstange an Stoßstange. Tarik Husseins Internetrecherche hatte ihm gezeigt, auf welchen Bus er warten musste. Fast hatte er die Hoffnung schon aufgegeben, als er in der Ferne das orangegelbe Dach sah. Ein Hubschrauber kreiste weit hinten über dem Fluss. Jeden Augenblick würde er das Pannenfahrzeug auf der Brücke sehen. Tarik versuchte den Bus mit der Kraft seines Willens näher heranzuholen.
Die ersten vier Kugeln durchschlugen die Frontscheibe und töteten den Fahrer. Der Bus geriet aus der Spur, prallte gegen einen Wagen neben ihm und blieb stehen. Der Mann in der Dienstuniform der Metro lag tot über dem Lenkrad. Die ersten Reaktionen setzten ein.
Der Wagen, der gestreift worden war, blieb ebenfalls stehen. Der Fahrer stieg aus und fing an, den Bus zu beschimpfen. Dann sah er den zusammengesackten Fahrer, vermutete einen Herzanfall und zog sein Handy hervor. Die Autos hinter den beiden stehen gebliebenen Fahrzeugen fingen an zu hupen. Mehrere Fahrer stiegen aus. Einer blickte hoch, sah die Gestalt an der Brüstung und schrie erschrocken auf. Der Hubschrauber drehte über Arlington und kam auf die Key Bridge zu. Hussein feuerte immer wieder durch das Dach des Busses. Nach dem zwanzigsten Schuss traf der Schlagbolzen auf eine leere Kammer. Er nahm das Magazin heraus, drehte es um und schob es wieder ein. Dann schoss er weiter.
Unter ihm war das Chaos ausgebrochen. Es hatte sich herumgesprochen, was passierte. Die Leute sprangen aus ihren Autos und duckten sich dahinter. Mindestens zwei schrien in ihre Handys.
Auf der Brücke schrien weiter hinten zwei Frauen. Das Dach des Busses 23C ging in Fetzen. Der Innenraum verwandelte sich in ein Schlachthaus voller Blut, Leichen und hysterischer Menschen. Dann war auch das zweite Magazin leer.
Nicht der Schütze im Hubschrauber beendete das Drama, sondern ein dienstfreier Streifenpolizist im zehnten Wagen hinter dem Pannenfahrzeug auf der Route 29. Er hatte sein Fenster geöffnet, um den Zigarettenrauch abziehen zu lassen, damit seine Frau später nichts davon riechen würde. Der Polizsit hörte die Schüsse und erkannte den Knall eines schweren Gewehrs. Er stieg aus, zog seine Dienstpistole aus dem Halfter und rannte los, nicht weg von den Schüssen, sondern auf sie zu.
Tarik Hussein bemerkte die Anwesenheit des Polizisten, als das Fenster der offenen Tür neben ihm zersplitterte. Er drehte sich um, sah den rennenden Mann und hob sein Gewehr. Das Magazin war leer. Der Polizist konnte davon nichts wissen. In sechs Metern Abstand blieb er stehen, ging in die Hocke, umfasste seine Pistole mit beiden Händen und feuerte das ganze Magazin in die Autotür und den Mann dahinter.
Später stellte man fest, dass der Schütze von drei Kugeln getroffen wurde. Sie genügten. Als der Polizist den Wagen erreichte, lag der Mann am Straßenrand und rang matt nach Atem. Er starb dreißig Sekunden später.
Den ganzen Tag über herrschte das Chaos auf der Route 29. Sie wurde gesperrt, und Techniker von der Spurensicherung brachten den Toten, die Waffe und schließlich das Auto weg. Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was sich auf dem GW Memorial Parkway unter der Brücke abspielte.
Das Innere des Linienbusses Rosslyn–Langley war ein Schlacht haus. Später erfuhr die Öffentlichkeit von sieben Toten und neun lebensgefährlich Verletzten. Fünf größere Amputationen waren notwendig, und zwanzig Fleischwunden mussten versorgt werden. Im Bus hatte es einfach keine Deckung nach oben gegeben.
In Langley war die Nachricht für Tausende Mitarbeiter so schockierend wie eine Kriegserklärung, jedoch von einem Feind, der schon tot war.
Die
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