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Die Todesliste

Die Todesliste

Titel: Die Todesliste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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dachte sie, war ihr geliebter Charlie der Mann in Moskau gewesen, der jeden Tag in den Gorki Park ging und von dem sowjetischen Verräter Oleg Penkowski streng geheime Mikrofilme übernahm. Diese Staatsgeheimnisse gelangten auf Präsident Kennedys Schreibtisch und ermöglichten ihm, Nikita Chruschtschow zu überlisten und die verdammten Raketen im Herbst 1962 von kubanischem Boden entfernen zu lassen.
    Ein junger Mann kam heran und setzte sich zu ihr. Die übliche kurze, harmlose Plauderei gab seine wahre Identität zu erkennen. Sie sah ihn an und lächelte. Ein junger Kerl, wahrscheinlich noch in der Probezeit und noch gar nicht auf der Welt, als sie im Auftrag der Firma durch den Eisernen Vorhang nach Ostdeutschland geschlüpft war.
    Der junge Mann tat, als läse er den Evening Standard . Er schrieb nichts mit, denn er hatte einen laufenden, aber lautlosen Recorder in der Jackentasche. Auch Emily Bulstrode brauchte keine Notizen zu machen. Sie hatte zwei Vorzüge: ein absolut harmloses Äußeres und ein gusseisernes Gedächtnis.
    Sie erzählte dem Aspiranten alles, was an diesem Morgen in der Kanzlei passiert war, Wort für Wort und in allen Einzelheiten. Dann stand sie auf und ging zum Bahnhof, um mit dem Vorortzug zu ihrem kleinen Haus in Coulsdon zu fahren. Allein saß sie auf ihrem Fensterplatz und sah zu, wie die südlichen Vororte vorüberzogen. Früher einmal hatte sie die gefürchtete Stasi überlistet. Jetzt war sie fünfundsiebzig und kochte Kaffee für ein paar Anwälte.
    Der junge Mann kehrte in der Abenddämmerung zurück nach Vauxhall Cross und reichte seinen Bericht ein. Er bemerkte eine Markierung, die besagte, der Chief habe vereinbart, Neuigkeiten zu Somalia an die Kollegen in der US -Botschaft weiterzureichen. Er wusste zwar nicht, was ein brutaler Warlord in Garacad mit der Jagd nach dem Prediger zu tun haben sollte, aber ein Dauerbefehl ist ein Dauerbefehl. Also adressierte er eine Kopie an die CIA .
    In seinem Safe House, eine halbe Meile weit von der Botschaft entfernt, war der Spürhund fast fertig mit dem Packen, als sein BlackBerry diskret vibrierte. Er sah die Nachricht an, las sie bis zum Ende, schaltete ab und dachte eine Zeit lang nach. Dann packte er wieder aus. Eine wohlwollende Gottheit hatte ihm soeben seinen Köder geliefert.
    Gareth Evans verlangte am nächsten Morgen eine Besprechung mit Mr. Ali Abdi. Als der Somalier sich meldete, klang er bedrückt.
    »Mr. Abdi, mein Freund, ich habe Sie immer für einen zivilisierten Mann gehalten«, begann Gareth.
    »Das bin ich auch, Mr. Gareth, das bin ich«, antwortete der Unterhändler in Garacad. Evans hörte die Anspannung in seiner Stimme. Die Bestürzung war vermutlich echt. Aber natürlich konnte man nie hundertprozentig sicher sein. Abdi und al-Afrit gehörten schließlich zum selben Stamm, den Habar Gidir, denn sonst hätte man ihm den Posten des Unterhändlers niemals anvertraut.
    Evans erinnerte sich an den Ratschlag, den er vor Jahren bekommen hatte, als er bei der Zollbehörde gearbeitet hatte und am Horn von Afrika stationiert war. Sein Mentor war ein alter, pergamenthäutiger Koloniallallah gewesen, die Augen gelb von Malaria. Die Somalis, hatte Evans erfahren, hatten sechs Prioritäten, die sich niemals änderten.
    Zuoberst stand das Ich. Dann kam die Familie, dann der Clan, dann der Stamm. Unten stand der Staat, und schließlich kam die Religion. Aber auf die beiden Letzten beriefen sie sich nur im Kampf gegen die Ausländer. Sich selbst überlassen, kämpften sie einfach gegeneinander und wechselten ständig Bündnisse und Loyalitäten, je nachdem, was sie als ihren Vorteil wahrnahmen, oder um sich für eine eingebildete Kränkung zu rächen.
    Das Letzte, was er dem jungen Gareth Evans verraten hatte, bevor er sich das Hirn aus dem Schädel pustete, als der Colonial Service ihn ins regnerische England zurückversetzen wollte, war dies: »Man kann die Loyalität eines Somali nicht kaufen. Doch meistens kann man sie mieten.«
    An diesem Spätsommermorgen in Mayfair hatte Gareth Evans einen Gedanken im Hinterkopf, nämlich die Frage, ob Ali Abdis Loyalität gegen seinen Stammesgenossen stärker war als die Loyalität gegen sich selbst.
    »Was da mit einem Gefangenen Ihres Auftraggebers passiert ist, war schändlich und inakzeptabel. Das könnte unsere gesamte Verhandlung entgleisen lassen. Und ich muss sagen, bis dahin war ich froh, dass diese Sache zwischen uns beiden verhandelt wird, weil ich dachte, wir wären beide

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