Die Todesspirale
als ich, war aber auf dem Gymnasi-um ein paar Mal sitzen geblieben, hatte seinen Wehrdienst abgeleistet und bei einem Wach und Schließdienst gearbeitet, bevor er den Lehrgang absolvierte. Nach einigen Jahren im Polizeidienst hatte er dann in Turku Jura studiert. Damals war er bereits verheiratet, das erste Kind war schon geboren, doch Beruf und Studium ließen ihm kaum Zeit für die Familie. Vor drei Jahren hatte seine Frau ihn aus dem Haus geworfen und die Scheidung eingereicht. Dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits einen neuen Partner hatte, war ein schwerer Schlag für ihn gewesen.
Nach der Polizeischule hatte ich Pertsa aus den Augen verloren. Als ich dann vorübergehend in einer Anwaltskanzlei in Espoo arbeitete, begegnete ich ihm wieder: Er ermittelte gegen einen meiner Klienten. Ich kam ihm bei der Aufklä
rung des Falles zuvor und war überzeugt, er werde mich für den Rest seines Lebens hassen. Doch als die Espooer Polizei eine Kriminalhauptmeisterin für ihr neues Dezernat suchte, hatte er mich vorgeschlagen.
Die Vorstellung, dass ich nach alldem seine Vorgesetzte werden würde, war ihm offenbar unerträglich. Als ich schwanger wurde, hatte er fest damit gerechnet, ich würde mich in ein ruhigeres Dezernat versetzen lassen. Mordermittlungen waren seiner Ansicht nach nichts für Mütter, und über meine Entscheidung, nur für die Zeit des Mutterschaftsurlaubs zu pausieren, regte er sich maßlos auf. Dabei war er derjenige, der mich ins Dezernat geholt hatte. Ströms Logik war wirklich schwer zu verstehen.
Ich stellte das Autoradio an, wo gerade «Die Polizei knüppelt wieder» von Eppu Normaali lief. «Hüter des Systems ist die Polizei, sie schlägt mit Knüppeln den Hippie zu Brei.» Ich drehte voll auf, sang den Refrain lauthals mit und überlegte, was Pertsa zu einem solchen humorlosen Macho gemacht haben mochte. Minderwertigkeitskomplexe?
Dumm war er allerdings nicht. Hatte er womöglich Recht mit seiner Behauptung, ich wäre unfähig, in kniffligen Situationen die richtigen Befehle zu geben?
Ach was, ich hatte gerade erst bewiesen, wie gut ich delegieren konnte! Immerhin hatten Pihko und Koivu einiges aus Liikanen herausgeholt. Ich hatte vergessen zu fragen, ob sie ihn vorläufig festgenommen oder ihm wenigstens ein Ausreiseverbot erteilt hatten. Das Rauschgiftdezernat würde sich mit seinen Hormongeschäften befassen, aber auch ich hatte noch einige Fragen an ihn.
Noch drei Wochen, um den Fall Noora Nieminen abzuschließen, dachte ich, als ich die Haustür aufschloss. Einstein kam angeschlichen, stupste mich fordernd an und maunzte, weil ich ihm nicht sofort seinen Thunfisch servierte. Unter der Tür zu Anttis Arbeitszimmer schimmerte ein Lichtstreif.
Die verschlossene Tür signalisierte, dass er arbeitete und nicht gestört werden wollte. Schade, ich hätte ihm gern von meinem Krach mit Ström erzählt und mein angeknackstes Selbstbewusstsein von ihm aufpäppeln lassen, doch ich riss mich zusammen und beschloss, noch einmal gründlich über den Fall nachzudenken.
Bei meinem hastigen Aufbruch hatte ich am Tag zuvor Nooras letzte Tagebücher aus dem Präsidium mitgenommen.
Nun holte ich sie hervor und schob einen Sessel ans Fenster, sodass ich die grünbraunen Saatfelder im Blick hatte und die Vögel beobachten konnte, die sich in den Bäumen hinter dem Haus tummelten. Ein heftiger Ostwind wehte durch den Ahorn, fuhr dann in die Fichten am Feldrand. Es war, als winkten die Bäume mit hundert Händen. Am liebsten hätte ich zurückgewunken, doch stattdessen schlug ich Nooras sechzehntes, unvollendetes Tagebuch auf.
Ich zwang mich, alle Eintragungen der Reihe nach zu lesen, obwohl es hauptsächlich um Liebeskummer ging. Noora hatte offenbar geglaubt, nach dem gemeinsamen Erfolg in Edmonton würde Janne ihre Liebe erwidern. Plötzlich stieß ich auf Tomi Liikanens Namen.
Heute habe ich von Tomi Mirafam bekommen. Ich musste schwö
ren, niemandem etwas zu verraten, und dann war er noch so gemein zu sagen, er verstünde ja, dass ich die Tabletten brauche. Sie waren furchtbar teuer, fast zweihundert Mark. Es sind estnische, hoffentlich wirken sie überhaupt. Elena hat mir mal von einer Läuferin erzählt, die sie in der Sowjetunion trainiert hat und die von so einem Schlankheitsmittel einen fürchterlichen Hautaus-schlag bekommen hat. Elena wollte ihr das Zeug gar nicht geben, aber ein Beamter vom Sportministerium hatte es angeordnet.
Trotzdem hat dieses Mädchen nicht mal bei der EM eine
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