Die Todesspirale
Medaille geholt. Vor der Slutskaja und der Butyrskaja hatten die Russen ziemlich miserable Eiskunstläuferinnen, jedenfalls im Einzellauf.
Die besten Frauen hatten sie im Paarlauf und im Eistanz. Irina Rodnina oder Oksana Gritschuk zum Beispiel.
Warum war mir diese Passage nicht früher aufgefallen? Nun hatte ich wenigstens einen konkreten Beweis gegen Tomi Liikanen. Wie war Noora auf die Idee gekommen, gerade ihn nach Appetitzüglern zu fragen? Wusste sie von seinen Hormongeschäften? Moment mal … Liikanen hatte am Abend, als Noora starb, bei ihr zu Hause angerufen und von einer Halskette gesprochen, die er hinter der Verkaufstheke im Fitnesscenter gefunden hatte. Was hatte Noora dort eigentlich zu suchen gehabt? Hatte sie in Liikanens Unterlagen geschnüffelt?
«Wir können uns beide denken, wer Noora umgebracht hat – und warum.» Das hatte Vesku Teräsvuori hinter dem
«Fishmaid» zu Tomi Liikanen gesagt. Am Montag würde ich mir Liikanen vorknöpfen, das stand fest. Er hatte mir einiges zu erklären.
In den letzten Wochen ihres Lebens war Noora alles andere als fröhlich gewesen. In der Schule wurde eine Arbeit nach der anderen geschrieben, und sie wollte unbedingt Klassen-beste sein. Eiskunstläufer sind Perfektionisten, hatte ich irgendwo gelesen. Zwei Tage vor ihrem Tod hatte Noora zum letzten Mal in ihr Tagebuch geschrieben:
Diese Ulrika, die verdammte Idiotin! Wie kann sie es wagen, uns für eine derart hirnrissige Fernsehreklame zu verpflichten! Demnächst lässt sie mich noch eine Kuh spielen, die von Janne gemol-ken wird!
Ich kann nicht mehr. Ich tue meine Arbeit, leiste was, und die anderen spotten bloß und nutzen mich aus. Ich dachte, nach Edmonton würde alles anders, aber nichts hat sich geändert, gar nichts! Die gleichen schrecklichen Dinge passieren immer wieder.
Ich will diese ganze Scheiße in die Luft jagen und alles aufde-cken, all die Lügen und Kulissen, von denen ich umgeben bin. Vielleicht versteht Janne mich dann, nein, er wird mich hassen. So wie ich mich hasse und verabscheue.
Aber solange ich die Gefangene dummer Menschen und meiner eigenen Ängste bin, kann ich nicht die beste Eisläuferin der Welt werden. Nur ich selbst kann mich befreien. Kein Janne, kein Sport-psychologe oder Trainer, nur ich allein kann diese furchtbare Kette sprengen.
Es klang, als hätte sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch gestanden. Wie hoch war das Medikament wohl do-siert, und welche Nebenwirkungen hatte es? Da wir nun wussten, um welches Präparat es sich handelte, konnten wir feststellen, ob es neben Fentermin noch andere Wirkstoffe enthielt, die zum Beispiel die Psyche beeinflussten und im Körper so schnell abgebaut wurden, dass sie bei der Obduktion nicht mehr nachzuweisen waren.
Während der WM hatte ich keine Übertragung aus Edmonton verpasst. Das Interview mit Noora und Janne nach ihrer glänzenden Kür war unvergesslich, Noora hatte geredet wie ein Wasserfall und strahlend versichert, in einigen Jahren würden sie um die Medaillenränge kämpfen, spätestens 1999
bei der WM in Finnland. Ich brannte darauf, Nooras Aufzeichnungen aus Edmonton zu lesen. Ihr letztes Tagebuch begann am dritten April, also mussten die EdmontonEintragungen am Ende des vorletzten Bandes stehen. Ich schlug ihn auf. Die WM hatte kurz nach meinem Geburtstag am 16.
März stattgefunden …
Im Flugzeug über dem Atlantik.
Endlich unterwegs, wie lange habe ich auf diese Reise gewartet!
Ich habe Schmetterlinge im Bauch, vor Freude und vor Aufregung, es ist phantastisch, an der WM der Senioren teilzunehmen. Zusammen mit Jenni Meno und Todd Sand und mit Artur Dimitriew, der mit seiner neuen Partnerin Oksana Kasakowa antritt. Die beiden haben ja schon die EM gewonnen. Da war es auch schön, aber in Edmonton sind ALLE dabei, und dazu noch das sachverstän-digste Publikum der Welt. Nach außen gebe ich mich ganz cool, aber natürlich wissen alle, wie glücklich ich bin. Und Silja freut sich auch, sie durfte ja in letzter Minute mitreisen. Zum Glück hatte der Verband eine Ersatzläuferin für Mila aufgestellt, Ulrika soll das durchgeboxt haben. Es ist ihr Verdienst, dass wir jetzt im Flieger sitzen. Manchmal tut die doofe Kuh eben doch was für uns.
Schade nur, dass wir so spät nach Kanada fliegen, so haben Janne und ich nur ein paar Tage Zeit, uns vom Jetlag zu erholen. Viele Europäer sind schon seit Wochen auf dem amerikanischen Konti-nent. Einerseits wünschte ich, es wäre schon Dienstag (dann sind wir mit
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