Die Toechter der Familie Faraday
Das Apartment in Greenwich Village war die kleinste der vielen Immobilien, die das Paar in Manhattan besaß. Ramona vermietete es selten, meist bot sie es Freunden als Unterkunft an. Miranda selbst hatte es schon manches Mal genutzt. Es war vollständig möbliert, sicher und sehr privat. Es wäre perfekt. Miranda hatte lediglich zwei Anrufe getätigt. Das Apartement stand leer, und Maggie könnte dort mindestens drei Monate bleiben.
Miranda hatte London am nächsten Tag verlassen und war nach Singapur geflogen, um sich einer neuen Gruppe Auszubildender anzunehmen. Maggie war drei Tage später nach New York geflogen. Es war alles sehr rasch gegangen.
»Dann hat sich ja alles auf wunderbare Weise gefügt«, hatte Juliet einigermaßen erstaunt gesagt, als Miranda sie auf den neuesten Stand gebracht hatte.
»Nein, hat es nicht«, hatte Miranda erwidert. »Ich kenne einfach die richtigen Leute.«
In Mirandas Augen, und darin stimmten ihr ihre Schwestern ausnahmsweise zu, war das einzig Gute an dieser tragischen Geschichte, dass sich Maggie von Angus getrennt hatte. Sie hatten ihn zwei Jahre zuvor in Donegal kennengelernt. Ein einziger Blick auf Maggies gut gekleideten, gut aussehenden Freund, und Miranda waren bereits fünf Prädikate eingefallen: verwöhnt, rechthaberisch, arrogant, ehrgeizig und dumm. Maggie schien allen fünf Eigenschaften gegenüber blind zu sein. Aber bei ihrer ersten ernsthaften Beziehung war das kein Wunder.
Angus war bloß zwei Tage geblieben. Am Ende hatte Miranda das Gesicht von dem ständigen falschen Grinsen regelrecht wehgetan. Es hatte ebenso wehgetan, Maggie anzulügen, als sie nur wenige Minuten nach seiner Abreise gefragt hatte, ob sie ihn mochte.
»Er scheint dich gut zu behandeln, und das allein zählt.« Miranda hatte sich innerlich gewunden. Sie hatte gewartet, bis Maggie ins Haus gegangen war, und sich an Juliet gewandt. »Das war gelogen. Ich kann ihn nicht ausstehen. Er nutzt sie bloß aus.«
»Ich mag ihn auch nicht, aber es ist ihre Entscheidung, mit wem sie zusammen ist.«
Miranda holte die Meinung der anderen ein. »Magst du ihn, Leo?«
»Ich habe ja nur kurz mit ihm gesprochen. Er hat sicher einen guten Sinn fürs Geschäft.«
»Eliza, hat er dir gefallen?«
»Wenn er gut zu ihr ist, gefällt er mir.«
»Heiraten kann sie ihn aber nicht«, hatte Miranda frohlockt.
»Wieso nicht?«, hatte Eliza gefragt.
»Seht mal, was ich gestern Abend entdeckt habe.« Miranda zeigte ein Sammelbuch herum, auf dem in ihrer Schrift Strandgut stand. Sie hatte danach gesucht, denn Juliet hatte sämtliche Rezeptbücher und Alben aus Hobart ins Ferienhaus verschifft. Nur dort hatten sie die Gelegenheit, sie gemeinsam durchzusehen. »Schaut mal auf Seite fünfzehn. Sie darf erst dann heiraten, wenn sie von uns allen die Erlaubnis bekommt. Und in diesem Fall bekommt sie meine nicht.«
»Damit kommst du bei Gericht ganz bestimmt durch.«
»Womit denn?« Maggie war ins Wohnzimmer gekommen.
»Mit diesem kleinen Dokument, das wir dich vor acht Jahren haben unterzeichnen lassen. Du bist dir darüber im Klaren, dass du erst heiraten kannst, wenn wir alle zustimmen?«
Maggie hatte gelacht. Das hatte sie ganz vergessen. Sie blätterte durch das Sammelbuch, bis sie auf die entsprechende Seite stieß. Sie hatten sie an einem Winterabend geschrieben, als sie alle gemeinsam in Hobart gewesen waren. Alle hatten scherzhaft darüber geklagt, dass Maggie zu schnell erwachsen würde und sich ihnen entzog. Es hatte reichlich Rotwein gegeben. Miranda, oder Eliza, hatte gesagt, es wäre an der Zeit für einige grundlegende Regeln. Sie hatten Maggie gebeten, eines der Alben zu holen, und zehn Gebote notiert. Vom Rotwein inspiriert, wurden sie »Die Faraday’schen Gesetze« getauft:
Dieses Dokument ist eine formelle Übereinkunft, wonach Maggie Tessa Faraday hiermit und fürderhin ihren allsehenden, allwissenden Tanten (und, gut, auch ihrer Mutter) gehorchen und die folgenden Gebote nach bestem Vermögen bis an ihr Lebensende befolgen muss:
1. Täglich Zahnseide benutzen.
2. Gemüse essen.
3. Sport treiben.
4. Viel lesen.
5. Sich gelegentlich ausschlafen.
6. Nur für die Optik rauchen, nicht aus Gewohnheit.
7. Alten Leuten über die Straße helfen .
Die letzten drei Punkte waren etwas ernster.
8. Auf einem Gebiet arbeiten, das ihr Freude macht, aus Leidenschaft und nicht des Geldes wegen, obwohl ein gutes Gehalt nicht von Nachteil ist.
9. Immer bereit sein, alles stehen und liegen zu lassen
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