Die Toechter der Familie Faraday
sie ihrem Schicksalsstern zum hundertsten Mal, dass er Larry O’Toole vor all diesen Jahren zu ihr geführt hatte. Was wäre aus ihr geworden, wenn sie ihm nicht begegnet wäre? Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken.
35
»So, dann lass mich mal rekapitulieren«, sagte Gabriel zu Maggie. Sie saßen nebeneinander in der Businessklasse, Leo auf der anderen Seite des Gangs. »Du hast drei Brüder, zwei Schwestern, deine Mutter ist Ballerina und außerdem bist du in Afrika aufgewachsen?«
»Genau. Sehr gut. Du wirst mit Bravour bestehen.«
»Danke, Millie. Du heißt doch Millie, oder?«
»Du hast wirklich einen scharfen Verstand.«
»Scharf wie ein Rasiermesser.«
»Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich mir die Decke über den Kopf ziehe und schreie?«
»Warum? Ist das auch so eine Faraday’sche Familientradition? In der Beziehung seid ihr ja wirklich sehr rege.«
Während der letzten Stunden hatte Maggie Gabriel einen Schnellkurs in Familiengeschichte gegeben. Erst hatte er das sehr ernst genommen, ihr viele Fragen gestellt, sich alles gemerkt. Doch nun war es damit vorbei.
»Es ist noch nicht zu spät, Gabriel, und das meine ich ernst. Du kannst deine Meinung immer noch ändern.«
»Wie denn? Soll ich aus dem Flieger springen? Über« – er sah an ihr vorbei aus dem Fenster – »über Gewässer voller gefräßiger Haie? Nein, jetzt wird nicht gekniffen. Ich ziehe das bis zum bitteren Ende durch.« Er lächelte. »Schau mich nicht so besorgt an, Maggie. Wenn wir damit durchkommen, prima. Wenn nicht, sagen wir eben, das Ganze war ein verspäteter Aprilscherz.«
»Das wird ihnen so oder so nicht gefallen.«
»Dann überlass es mir. Mir wird schon etwas einfallen, um das Ganze sehr beeindruckend zu beenden. Auf dich wird keine Schuld fallen, das verspreche ich dir. Und bis dahin musst du mich eben korrigieren, wenn ich etwas vollkommen falsch verstehe. Macht nicht genau das unsere Beziehung so wunderbar? Dass wir jeden Tag neue Dinge aneinander entdecken?« Die beiden letzten Sätze sagte er mit honigsüßer Stimme.
Maggie entspannte sich. »Wenn du weiter so mit mir redest, erzähle ich, dass du als Avon-Beraterin arbeitest.«
»Ach ja? Dann erzähle ich deiner Familie, dass ich dich als Gogo-Girl in einem dubiosen Nachtclub in SoHo kennengelernt habe.«
»Gogo-Girl?« Sie musste lachen.
Leo versuchte, Gabriels Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Entschuldige, Schatz«, sagte Gabriel zu Maggie.
»Aber bitte, Schatz«, sagte Maggie.
Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, immer noch lächelnd. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, aber das Ganze machte ihr Spaß. Mit Angus hatte sie nie so viel gelacht. Gabriel hielt sie mit schnellen, geistreichen Antworten und unzähligen Geschichten auf Trab. Sie hatten fast den ganzen Tag zusammen verbracht, am Flughafen gewartet, weil ihr Flug Verspätung hatte, und Maggie hatte sich nicht eine Sekunde gelangweilt oder unwohl gefühlt. Ihnen ging nie der Gesprächsstoff aus. Sie hatte ihn nach seiner Kindheit gefragt und war hervorragend unterhalten worden – eine Kindheit in New York war so ganz anders als im beschaulichen Hobart. Je mehr er ihr erzählte, umso mehr wollte sie wissen. Außerdem musste sie genauso viel von ihm wissen wie er von ihr. Sie sah schon vor sich, wie ihre Tanten sie ins Kreuzverhör nahmen, von Clementine ganz zu schweigen. Wieder nagte das schlechte Gewissen an ihr, weil sie lügen musste, doch sie unterdrückte es rasch. Es war schließlich Leos Idee, nicht ihre. Er hatte alles ausgeheckt.
Was sie daran erinnerte, dass sie nicht nur zum Vergnügen unterwegs war. Sie musste die Tagebücher lesen. Dann war da die Sache mit Sadie. Leo hatte vor der Abreise noch versucht, den Privatdetektiv anzurufen, aber er war nur an seine Voicemail geraten. »Keine Nachrichten sind gute Nachrichten«, hatte er zu Maggie gesagt. »Ich muss mich in Geduld üben.«
Maggie hatte überlegt, ob sie Gabriel das ganze Sadie-Drama erzählen sollte. Wenn das, was Leo erhoffte, stimmte, wenn Sadie tatsächlich gesund und glücklich in Dublin lebte, dann würde Gabriel sie vermutlich eines Tages kennenlernen. Warum sollte er? Wie albern, einen Moment lang war sie selbst davon überzeugt, dass er ihr Verlobter war.
Wunschdenken!, meldete sich eine Stimme in ihrem Innern.
Es stimmte. Je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, umso besser gefiel er ihr. Nicht nur, weil man sich so gut mit ihm unterhalten konnte oder weil er so gut aussah. Es
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