Die Toechter der Familie Faraday
weißt, was ich für dich empfinde.«
Sie legte auf. Sie weinte, zunächst aus Wut, dann von Schmerz überwältigt. Auf so etwas war sie nicht gefasst. Was sollte sie jetzt tun? All ihre Pläne, all ihr Denken waren auf Mark ausgerichtet, auf Melbourne, ihre gemeinsame Zukunft. Er hatte ihr einen Ausweg eröffnet, der Gedanke an ihn hatte sie am Leben erhalten, wenn sie im Kreis ihrer Familie zu ersticken drohte. Und jetzt … nichts. Es tat weh, der Schmerz ging bis ins Mark. Ihr Stolz ließ nicht zu, schwach oder unentschlossen zu wirken, zu straucheln, aber hier konnte sie niemand sehen. Sie krümmte sich und ließ den Tränen freien Lauf.
Es schien Stunden zu dauern, bis sie sich endlich beruhigte. Sie ging in den Umkleideraum, wusch sich das Gesicht und legte sich kalte Lappen auf die geschwollenen Augen. Sie quälte sich zurück an den Schreibtisch und kämpfte die Stimme in sich nieder, die nach mehr Tränen verlangte. Sie wollte nicht mehr um ihn weinen. Nicht an diesem Abend, und auch sonst niemals wieder. Ihr stach der Aufkleber auf ihrer Sporttasche ins Auge. »Setz dir Ziele. Hohe Ziele. Nur du wirst es schaffen.«
Sie nahm sich ein Stück Papier mit dem Briefkopf des Fitnessstudios. Sie kritzelte einige Zahlen aufs Blatt. Sie war im Studium auf halber Strecke und hatte den Abendkurs in Buchhaltung nahezu beendet. Ein wenig Geld hatte sie auch gespart.
Sie hätte alles für ihn aufgegeben. Aber er hatte seine Frau ihr vorgezogen. Doch das hieß nicht, dass sie ihre Zukunftspläne ebenfalls in den Wind schreiben musste.
Sie würde es trotzdem tun. Nach Melbourne ziehen und sich selbstständig machen. Sobald es ging. An dem Tag, an dem Maggie in die Schule kam.
9
Sadie trat auf die Waage und gab einen Freudenschrei von sich. Maggie stand auf Socken neben ihr und sah mit Clementines großen, dunklen Augen zu ihr auf. Sie trug ein rotes Kordkleid und eine rote Strickjacke mit einer blauen Blume auf der Tasche. Sie sah wie ein niedliches Elfenkind aus. Ihre neue Frisur, die wie ein Heiligenschein aus dunklen Grannen wirkte, trug zu diesem Eindruck ebenso bei wie die abstehenden Ohren. Sadie liebte Maggies Ohren. Miranda hatte wenige Tage zuvor – als Clementine gerade nicht in Hörweite war – bemerkt, dass Maggie ohne jede Hilfe von Tasmanien aus übers Meer fliegen könnte, falls ihre Ohren nur noch ein klein wenig wuchsen. »Da hat die Evolution ihre Hand im Spiel, oder?«, hatte sie gesagt und Maggies Ohren noch etwas weiter zur Seite gezogen. Alle hatten gelacht, weil es im Gegenlicht so ausgesehen hatte, als würden Maggies Ohren wie magisch leuchten. Auch Maggie hatte gelacht.
»Ich bitte um Beifall, Maggie«, sagte Sadie. »Ich habe fast ein Kilo abgenommen.«
Maggie klatschte in die Hände, verlor das Gleichgewicht und fiel auf die Waage. »Aua«, sagte sie.
Sadie hob sie hoch und blickte wieder auf die Waage. »Sieh mal, so viel wiegen du und ich.«
»Wiegen wir.«
»Kluges Mädchen! Wiegen wir! Du bist bestimmt das klügste Mädchen der Welt.« Sie stieg von der Waage und stellte Maggie allein darauf. »Und so viel wiegst du. Ein tolles Gewicht, weil du so ein tolles Mädchen bist, nicht wahr?«
An der Haustür erklang ein Geräusch. »Die Po-host war da. Na komm, Maggie, die Po-host.«
Maggie lief zur Tür und holte die Post. »Fünf Briefe«, sagte sie.
»In der Tat. Kluges Mädchen. Danke.« Sadie sah sich die Briefe an und gab Maggie eine Wurfsendung. »Das ist für dich, Maggie. Von der Königin. Sie schreibt, dass sie dich zur Prinzessin von Tasmanien ernennt und dir ein Schloss bauen wird.«
Maggie tat so, als würde sie den Brief – eine Werbebroschüre für Blumensamen – sorgsam lesen. »Oh«, sagte sie.
Sadie legte die Post für Leo, Miranda und Clementine in den Korb auf dem Flurtisch. Dann holte sie Maggies Bauklötze hervor – doch Maggie beachtete sie nicht und schaute weiter in die Broschüre – und öffnete den Brief, der an sie gerichtet war. Ein förmlicher weißer Umschlag mit dem Briefkopf der Universität von Tasmanien. Im Innern ein ebenso förmlicher Brief. Sadie überflog ihn rasch, dann las sie ihn gründlich.
Es war ein persönliches Schreiben von ihrem Tutor, in dem er seiner Besorgnis darüber Ausdruck verlieh, dass Sadie in diesem Semester noch keine Vorlesung besucht hatte. »Rufen Sie mich bitte an, damit wir das besprechen können«, endete der Brief.
Ein Standardbrief, entschied Sadie. So förmlich war ihr Tutor nämlich nicht gewesen, als
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