Die Toechter der Familie Faraday
Sadie ihn sieben Monate zuvor aufgesucht und ihm erklärt hatte, dass sie eine Pause einlegen würde, um sich um Maggie zu kümmern.
Begeistert hatte ihr Tutor nicht gewirkt.
Niemand schien zu verstehen. Das war kein Opfer. Im Gegenteil. Insgeheim war Sadie mit Maggie zu Hause weit glücklicher als in jedem Hörsaal, wo sie sich abmühen musste, den verborgenen Sinn in Romanen zu finden, die vor ihr schon Abertausende von Studenten gelesen hatten.
Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn es sie nach einem ganz bestimmten Wissen gedürstet hätte. Aber das war nicht der Fall. Sie hatte sich schließlich für Literatur eingeschrieben, weil es ihr einen guten Vorwand bot, drei Jahre lang viel zu lesen. Ihre Kommilitonen sprühten vor Ideen für die berufliche Zukunft. Wenn Sadie über die Studienjahre hinaussah, sah sie nur Nebel.
Ihr Angebot, sich um Maggie zu kümmern, war eine spontane Eingebung gewesen. Denn ihr hatte ein wenig vor der sechstausend Wörter langen Hausarbeit über die Dichtung des Ersten Weltkriegs gegraut, die damals anstand. Zu ihrer Überraschung aber machte es ihr Spaß, zu Hause zu bleiben und sich um Maggie zu kümmern.
»So viel zur Emanzipation der Frau«, hatte Miranda erwidert, als Sadie den Fehler begangen hatte, das zu äußern. »Überall auf der Welt verbrennen Frauen ihre Büstenhalter, aber du, Sadie Faraday, an vorderster Front der modernen Weiblichkeit, mit Zugang zu sämtlichen Bildungseinrichtungen dieser Welt, du wirfst das Handtuch und sagst: ›Nein danke, ich will keinen Verstand, ich will einen Abschluss in den Fächern Kinderwagenschieben Eins, Zwei und Drei.‹«
» Du verrätst die Frauen«, hatte Sadie geantwortet. »Der Emanzipationsbewegung geht es doch darum, dass wir die Wahl zwischen Arbeit und Ausbildung haben, dass sich uns neue Wege eröffnen.«
»Genau. Neue Wege. Nicht ausgetretene Pfade.« Miranda hatte sich zu Maggie gebeugt, die auf einer bunten Decke auf dem Fußboden spielte. »Nichts gegen dich, Maggie. Du weißt, dass ich dich für das hinreißendste Kind aller Zeiten halte, aber du solltest deine Geschicklichkeitsspiele allmählich um wirklich elementare Fähigkeiten erweitern. Kannst du denn schon einen Reifen wechseln? Einen Martini mixen?«
Sadie hatte Maggie hochgehoben. »Hör nicht auf sie, Maggie, sie übt einen sehr schlechten Einfluss aus.«
»Ich einen schlechten Einfluss? Du stehst doch Gewehr bei Fuß, wenn Maggie auch nur einen Pieps von sich gibt. Nicht einmal Clementine macht das, und sie ist schließlich ihre richtige Mutter und nicht so ein Möchtegern-Ersatz wie du.«
»Wie kannst du es wagen.«
»Was wagen?«
»So mit mir zu sprechen, besonders vor Maggie.«
Miranda hatte die Augen verdreht. »Zwei Dinge, Sadie. Erstens, Maggie würde es nicht einmal verstehen, wenn ich dich die Hure Babel nennen würde. Zweitens, du bist nicht Maggies Mutter. Clementine ist die wichtigste Person in ihrem Leben.«
»Sie verbringt doch genauso viel Zeit mit mir wie mit Clementine.«
»Du kapierst es nicht, oder? Clementine ist Maggies Mutter, Sadie. Du bist die Babysitterin. Sieh den Tatsachen ins Auge.« Miranda hatte auf die elegante Uhr an ihrem Handgelenk geschaut. »Ich bin spät dran. Ich muss los.«
»Wohin gehst du denn diesmal?«
»Aus. Mich mit Leuten unterhalten, die größer als sechzig Zentimeter sind und faszinierendere Themen als Kätzchen, Bauklötze und Zahlen kennen. Was du auch hin und wieder tun solltest.«
Sadie überflog den Brief noch einmal, schob ihn zurück in den Umschlag, faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Hosentasche. Ihrem Tutor war es doch egal, ob Sadie wieder in seine Vorlesungen kam oder ihren Abschluss machte. Es ging ihm nur darum, dass seine Studentenzahlen hoch waren. Und außerdem konnte sie ja jederzeit zurückgehen und weiterstudieren. Im Moment aber war es besser, wenn erst einmal alles so weiterlief.
Sadie wusste, dass sie ihre Sache gut machte. Clementine hatte es ihr am Abend zuvor noch gesagt. Clementine war spät nach Hause gekommen, von einer Exkursion an die Ostküste. Sie war ins Haus gestürmt und hatte Sadie, während sie Mantel und Tasche ablegte, zugerufen: »Es tut mir so leid, Sadie, wir sind aufgehalten worden. Ich mache ihr jetzt sofort das Abendessen.«
Clementine war in die Küche geeilt, wo Maggie schon frisch gebadet auf Sadies Schoß saß. Maggie hatte die Ärmchen ausgestreckt. »Mum, Mum.«
Clementine hatte sie hochgehoben, ihr einen Kuss gegeben und sie an
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