Die Toechter der Familie Faraday
Maddie Sie mit Vornamen anredet und nicht Mum nennt?«
»Nein, ich finde es ganz niedlich«, hatte Sadie erwidert.
»Also mir würde das gar nicht gefallen«, hatte sich eine andere Frau eingemischt. »Mir geht immer das Herz auf, wenn meine Tochter Mum sagt. Aber wissen Sie was? Ich gebe Ihnen meine Nummer. Warum kommen Sie und Maddie nicht einmal am Wochenende vorbei? Und geben Sie mir auch Ihre Adresse. Wir sind öfter in Hobart, da könnten wir doch bei Ihnen mal reinspringen.«
Ein Nein hatte die Frau nicht gelten lassen. Sadie war keine Wahl geblieben. Sie hatte eine falsche Adresse und Telefonnummer aufgeschrieben und das Thema gewechselt. Und entschieden, dass dies ihr letzter Besuch bei der Müttergruppe war.
Stattdessen machte sie mit Maggie Tagesausflüge, zu den Randbezirken von Hobart, manchmal sogar zu Orten, die ein oder zwei Stunden Fahrtzeit von Hobart entfernt lagen. Natürlich besprach sie das immer zuerst mit Clementine. Sadie mochte die Ausflüge. Während der Fahrt erfanden sie Lieder. Maggies Lieder handelten immer von Katzen. Sie hatte gerade zu reimen gelernt und sang ständig ein Lied über eine Katze und eine Fratze und eine Tatze, zu einer Melodie, die ein wenig zu sehr an »Jingle Bells« erinnerte. Sadie ertappte sich dabei, dass sie das Lied ständig summte.
Wenn es warm war, fuhren sie an den Strand, sammelten Muscheln, schrieben Zahlen in den Sand oder legten sich einfach nur in die Sonne, machten ein Picknick und lasen. An kühlen Tagen nahm Sadie Maggie mit in die Bibliothek oder in ein Einkaufszentrum, wo andere Mütter kreischende Kinder hinter sich herzerrten. Wieder einmal staunte Sadie über Maggies wundersame Ausgeglichenheit. Sie nahm immer den Fotoapparat mit, und Clementine war sehr dankbar, als Sadie ihr einen Stapel Fotografien gab, zur Erinnerung an all die Orte, wo Sadie mit Maggie gewesen war.
So war Sadie auf die Idee gekommen. Sie würde ein besonderes Geschenk für Clementine basteln. Ein Maggie-Sammelbuch, genau wie die Alben, die ihre Mutter früher gemacht hatte.
Es machte unheimlich viel Spaß. Sadie arbeitete daran, während Maggie fernsah oder tagsüber schlief. Es sollte eine möglichst bunte Mischung werden, entschied sie. Momentaufnahmen aus Maggies Leben.
Als Erstes klebte sie ein Foto von Maggies Lieblingsstofftier ein, der Rote Affe, den sie auf das Geländer der Veranda setzte, als wäre er von selbst dorthin geklettert. Maggie hatte sehr klare Vorstellungen bei der Benennung ihrer Tiere. Neben dem Roten Affen gab es den Braunen Bären, den Orangen Löwen und die Grüne Schildkröte. Das hatte sich eine Zeit lang auf die ganze Familie ausgewirkt. »Hat irgendjemand die rote Tischdecke gesehen?« – »Wer hat meine blaue Ledertasche angerührt?«
»Wir leiden ja regelrecht an Adjektivitis«, hatte Leo gesagt.
Zwei Seiten widmete Sadie Maggies Begeisterung fürs Verkleiden. Im Jahr zuvor hatte sich das zu einer wahren Besessenheit gesteigert. Maggie war durch eine Goldlöckchen-Phase gegangen (sechs Wochen), eine Rotkäppchen-Phase (acht Wochen) und eine Struwwelpeter-Phase (fünf Wochen), in denen ihr die jeweiligen Geschichten ständig vorgelesen werden mussten, Abend für Abend, während sie dabei Sachen trug, die den Figuren in den Büchern möglichst nahekamen. Glücklicherweise verlor sie das Interesse an einer Geschichte auch bald danach, wenn Sadie oder Clementine es leid waren, sie jeden Abend vorzulesen.
Sadie streute wichtige Daten und Ereignisse aus Maggies Leben in das Sammelbuch ein. Ihren Geburtstag kannte sie natürlich. Aber wann genau Maggie ihren ersten Zahn bekommen, die ersten Schritte gemacht und ihre ersten Worte gesagt hatte, musste sie Clementine und ihre anderen Schwestern möglichst unauffällig fragen. Sie notierte, wann Maggie die Windpocken gehabt hatte. Wann sich Maggie das linke Handgelenk gebrochen hatte, als sie von der Leiter am Pflaumenbaum gefallen war, die Leo dort vergessen hatte. Maggie hatte sechs Wochen lang einen Gipsverband tragen müssen und nicht einmal geweint, als er abgenommen wurde. Er lag noch immer in ihrem und Clementines Schrank. Sadie schlüpfte eines Nachmittags ins Zimmer, sägte ein winziges Stückchen ab und klebte es ins Sammelbuch.
Drei ganze Seiten widmete sie Maggies bemerkenswertem Talent für Zahlen. Sadie hatte es als Erste bemerkt. Als sie an einem regnerischen Nachmittag auf Maggie aufgepasst hatte, Maggie war damals erst drei Jahre alt, hatte ihre Nichte zu Sadies Erstaunen
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