Die Toechter der Kaelte
»Darauf kannst du dich verlassen. Und seine Frau ebenfalls. Und sein Sohn. Ich gedenke, mit ihnen zu reden, nachdem ich mir Kaj noch einmal vorgenommen habe.«
»Und trotzdem kann es noch immer jemand ganz anderes sein, auf den wir noch nicht gestoßen sind«, meinte Annika.
»Ja, das ist das Schlimmste von allem. Während wir uns im Kreis drehen, sitzt der Mörder vielleicht zu Hause und lacht sich ins Fäustchen. Aber nach dem gestrigen Vorfall bin ich mir zumindest sicher, daß er oder sie immer noch in der Nähe ist und daß es vermutlich jemand aus dem Ort ist.«
»Oder wir haben den Mörder schon in Gewahrsam«, sagte Annika und deutete mit dem Kopf in Richtung Zelle.
Patrik lächelte. »Oder wir haben den Mörder schon in Gewahrsam. Nein, jetzt muß ich los und mit einem Mann über eine Jacke reden …«
»Viel Glück«, rief Annika ihm nach.
»Dan! Dan!« schrie Erica. Sie hörte die Panik in ihrer Stimme, und das erschreckte sie noch mehr. Hektisch durchwühlte sie die Decken im Wagen, als hätte sich die Tochter auf seltsame Weise in irgendeiner Ecke verkriechen können. Doch der Wagen war und blieb leer.
»Was ist denn?« fragte Dan, der angerannt kam und sich unruhig umschaute. »Was ist passiert? Warum schreist du?«
Erica versuchte zu sprechen, aber ihre Zunge wirkte dick und ungelenk, sie bekam kein Wort heraus. Statt dessen zeigte sie zitternd auf den Wagen, und Dan wandte rasch seinen Blick in die Richtung.
Ungläubig schaute er in das leere Gefährt, und sie sah, daß auch ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag traf.
»Wo ist Maja? Ist sie weg? Wo ist …« Er beendete den Satz nicht, sondern blickte wild umher. Erica klammerte sich voller Panik an ihn. Jetzt strömten ihr die Worte aus dem Mund.
»Wir müssen sie finden! Wo ist meine Tochter? Wo ist Maja? Wo ist sie?«
»Schhh, komm schon, wir finden sie. Mach dir keine Sorgen, wir finden sie.«
Dan unterdrückte die eigene Panik, um Erica zu beruhigen. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und schaute ihr in die Augen. »Jetzt müssen wir ruhig bleiben. Ich gehe sie suchen, und du rufst die Polizei an. Komm schon, das regelt sich.«
Erica fühlte, wie sich ihr Brustkorb ruckartig hob und senkte, in einer merkwürdigen Imitation von Atmung. Aber sie tat, was er sagte. Dan ließ die Tür offenstehen, und der kalte Wind strich ins Haus. Doch das kümmerte sie nicht. Sie fühlte nichts anderes als lähmende Panik, die sie zerriß und ihr Gehirn außer Funktion setzte. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wo sie das Telefon gelassen hatte, und schließlich rannte sie nur noch im Wohnzimmer umher, riß die Kissen hoch und warf Dinge über den Haufen. Am Ende begriff sie, daß es mitten auf dem Wohnzimmertisch lag, riß es an sich und wählte mit steifen Fingern die Nummer des Reviers. Dann hörte sie Dans Stimme von draußen: »Erica, Erica, ich habe sie gefunden!«
Sie schmiß das Telefon hin und rannte zur Tür, direkt auf seine Stimme zu. In bloßen Strümpfen lief sie die Treppe hinunter und auf die Auffahrt hinaus. Sie spürte Nässe und Kälte, aber das war ihr egal. Sie sah, daß Dan von der Vorderseite des Hauses auf sie zugelaufen kam, in den Armen etwas Rotes. Wütendes Gebrüll stieg zum Himmel auf, und Erica fühlte, wie die Erleichterung, einer Riesenwelle gleich, über sie hinwegspülte. Maja schrie, sie lebte.
Sie rannte die letzten Meter, die sie von Dan trennten, und riß ihm das Kind aus den Armen. Schluchzend drückte sie Maja eine Sekunde an sich, bevor sie in die Knie sank, die Tochter auf den Boden legte und ihren roten Overall aufriß, um sie sich genau anzusehen. Sie wirkte unverletzt, schrie weiter aus vollem Hals und fuchtelte mit Armen und Beinen. Noch immer auf den Knien, nahm Erica sie hoch und drückte sie wieder fest an die Brust, während sich Tränen der Erleichterung mit dem Regen vermischten.
»Komm, wir gehen rein. Ihr werdet doch patschnaß«, sagte Dan sanft und half Erica auf die Füße. Ohne den Griff um das Kind zu lockern, folgte sie ihm die Treppe hinauf ins Haus. Ihre Erleichterung war auf eine Weise körperlich, wie sie es sich nie hätte vorstellen können. Es war, als hätte sie einen Körperteil verloren, der ihr jetzt wieder angefügt worden war. Noch immer entfuhren ihr schluchzende Schniefer, und Dan tätschelte ihr beruhigend die Schulter.
»Wo hast du sie gefunden?« brachte sie mühsam hervor.
»Sie lag vor dem Haus am Boden.«
Erst jetzt begriffen sie,
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