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Die Toechter der Kaelte

Die Toechter der Kaelte

Titel: Die Toechter der Kaelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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sie näher kamen. Es war schwer, die Zeit im Blick zu behalten. Sie wußte nicht, wie lange sie hier in der Dunkelheit gesessen hatte, doch nach dem zunehmenden Magenknurren zu urteilen, waren es schon Stunden. An sich war sie immer hungrig, was der Grund dafür war, daß Mutter ihr so unbarmherzig auf die Finger sah. Es war, als sei da etwas in ihr, das ständig nach Essen schrie, jetzt aber schmeckte sie das strenge, trockene, muffige Zeugs, das Mutter sie immerzu essen zwang, wenn die Schläge aufgehört hatten zu hageln und es Zeit für sie war, sich in den Keller zu setzen. Mutter sagte, das, was sie ihrer Tochter mit einem Löffel verabreichte, sei Demut. Mutter sagte auch, sie strafe sie zu ihrem eigenen Besten. Weil ein Mädchen es sich nicht erlauben könne, dick zu sein, denn dann würde kein Mann nach ihr schauen und sie würde ihr ganzes Leben einsam bleiben.
    Eigentlich verstand sie nicht, was daran so furchtbar sein sollte. Mutter schien Vater nie mit Freude im Blick anzusehen, und keiner der Männer, die ständig um ihre magere Gestalt herumscharwenzelten, ihr Komplimente machten und ihr schöntaten, schien sie zufriedenzustellen. Nein, lieber würde sie allein bleiben, als in einer solchen Kälte, wie sie zwischen ihren Eltern herrschte, zu leben. Vielleicht war das der Grund, warum sie Essen und Süßigkeiten so verlockten. Vielleicht sorgte das für eine dicke, schützende Hülle unter der Haut, die so empfindlich war. Daß sie die Erwartungen ihrer Mutter nicht erfüllen konnte, wußte sie seit langem, obwohl sie noch so jung war. Sie hatte es doch wirklich versucht. Hatte alles getan, was Mutter von ihr verlangte, hatte sich nicht zuletzt auch darum bemüht, das Fett wegzuhungern, das sich unerbittlich unter ihrer Haut ansammelte, aber nichts schien zu helfen.
    Allmählich aber hatte sie gelernt, wer an all dem eigentlich schuld war. Mutter hatte erklärt, Vater würde so viel von ihnen verlangen, deshalb also sei Mutter gezwungen, so streng zu ihr zu sein. Am Anfang hatte das ein bißchen merkwürdig geklungen. Vater erhob doch nie die Stimme und schien viel zu weich zu sein, um irgendwelche Forderungen an Mutter zu stellen, aber je öfter die Behauptung wiederholt wurde, desto wahrer klang sie.
    Sie hatte angefangen, Vater zu hassen. Wenn er nur aufhörte, so böse und unerbittlich zu sein, dann würde Mutter lieb werden, die Bestrafungen würden aufhören, und alles würde sehr viel besser sein. Dann könnte sie aufhören zu essen und würde genauso schlank und schön wie Mutter, und Vater könnte stolz auf sie beide sein. Statt dessen brachte er Mutter dazu, sich abends weinend ins Zimmer der Tochter zu stehlen, wo sie ihr flüsternd erzählte, auf welch unterschiedliche Weise er sie ständig quälte. Bei diesen Gelegenheiten sagte sie auch, wie schmerzlich es für sie sei, daß ausgerechnet sie die Bestrafungen vornehmen müsse. Sie nannte sie »darling«, genau wie damals, als sie noch klein war, und versprach, alles würde anders werden. Man tut, was man muß, sagte Mutter und umarmte sie, was so ungewöhnlich und fremd war, daß sie anfangs nur stocksteif dagesessen hatte, unfähig, die Umarmung zu erwidern. Mit der Zeit hatte sie sich nach diesen Momenten gesehnt, in denen sich die schmalen Arme der Mutter um ihren Hals legten und sie deren tränenfeuchte Wange an der eigenen spürte. Dann fühlte sie sich gebraucht.
    Als sie jetzt unten in der Dunkelheit saß, merkte sie, wie der Haß auf den Vater in ihr zum großen Monster wurde. Am Tag, oben im Licht, mußte sie diesen Haß vor ihm verbergen, mußte lächeln, knicksen und so tun, als sei nichts. Aber unten in der Dunkelheit konnte sie das Monster herauslassen, wo es in aller Ruhe wuchs. Sie fühlte sich wohl mit ihm. Das Monster war zu einem guten, alten Freund geworden, dem einzigen Freund, den sie hatte.
    »Du kannst jetzt hochkommen.«
    Die Stimme, die von oben erklang, war klar und kalt. Das Mädchen öffnete sich und ließ das Monster herein. Dort mußte es bleiben, bis sie das nächste Mal im Keller landete. Dann durfte es wieder heraus und wachsen.
     
    Patrik erhielt den Anruf im selben Augenblick, als er Kaj ins Vernehmungszimmer führen wollte. Er hörte schweigend zu und ging dann, um Martin zu holen. Gerade als er an seine Tür klopfen wollte, erinnerte er sich, daß Annika gesagt hatte, Martin sei nach Fjällbacka gefahren, und er fluchte leise, als er einsah, daß er statt seiner Gösta mitnehmen mußte. Ernst zog er

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