Die Toechter der Kaelte
hatte Stig verstanden.
Doch im Laufe der Jahre hatte sie eine schleichende Unzufriedenheit an ihm bemerkt. Es war, als könnte sie einem anderen Menschen einfach nie genügen. Ständig waren sie hinter etwas anderem her, hinter etwas Besserem. Sogar Stig. Als er davon anfing, daß sie sich auseinandergelebt hätten, daß er alleine einen Neuanfang machen wollte, da brauchte sie gar nicht erst lange Beschlüsse zu fassen. Ihr Handeln folgte seinen Worten so selbstverständlich, wie der Dienstag auf den Montag folgt. Und genauso selbstverständlich hatte er sich, wie schon Lennart vor ihm, wieder zuversichtlich seiner Frau zugewandt, als sie ihn dann pflegte, sich um ihn kümmerte, ihn liebte. Er war ihr auch so dankbar gewesen für alles, was sie tat. Hier wußte sie ebenfalls, daß der Abschied unausweichlich war, aber das war ja nicht wichtig, solange sie nur den Takt angab, den richtigen Moment bestimmte.
Lilian drehte sich auf die andere Seite und legte den Kopf auf ihre Hände. Blicklos starrte sie auf die Wand, sah nur die Vergangenheit. Nicht die Gegenwart. Nicht die Zukunft. Das einzige, was zählte, war die Vergangenheit.
Sie hatte Abscheu in den Gesichtern gelesen, als sie wegen des Mädchens fragten. Aber sie würden es doch nie verstehen. Das Kind war ein so hoffnungsloser Fall gewesen, so unbändig, so respektlos. Erst als Charlotte und Niclas zu ihr und Stig zogen, gingen ihr die Augen auf, wie schlimm es stand. Wie böse das Mädchen war. Anfangs war sie schockiert gewesen. Aber dann hatte sie einen Wink des Schicksals darin gesehen. Das Mädchen glich Agnes so sehr. Nicht nur dem Äußeren nach; sie hatte dieselbe Bösartigkeit in den Augen. Denn das hatte sie im Laufe der Jahre erkannt: daß ihre Mutter ein böser Mensch war. Deswegen hatte sie auch genüßlich zugesehen, wie sie mit den Jahren langsam verfiel. Sie hatte sie in ihre Nähe geholt, nicht um sie besuchen zu können, sondern um dieses Gefühl der Kontrolle zu haben, wenn sie der Mutter die Besuche verweigerte, nach denen sie sich so sehnte. Nichts freute sie mehr, als zu wissen, daß Mutter dort saß, ganz in ihrer Nähe, und doch so fern, und langsam von innen verrottete.
Mutter war böse, und das Mädchen ebenso. Lilian hatte gesehen, wie das Kind mit der Zeit die Familie entzweite und den brüchigen Kitt weiter zerstörte, der Niclas’ und Charlottes Ehe zusammenhielt. Ihre ständigen Wutausbrüche und ihre Forderungen nach Aufmerksamkeit hatten sie verschlissen, und es wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis sie getrennte Wege gingen. Das durfte sie nicht zulassen. Ohne Niclas wäre Charlotte völlig unbedeutend. Eine ungebildete, übergewichtige alleinerziehende Mutter, ohne den Respekt, der einem erfolgreichen Mann entgegengebracht wird. Manche aus Charlottes Generation hätten sicher behauptet, es sei überholt und nicht mehr zeitgemäß, durch Heirat auf der sozialen Leiter nach oben zu klettern. Aber Lilian wußte es besser. In der Gesellschaft, in der sie lebte, bedeutete Status noch etwas, und so wollte sie es auch haben. Sie wußte, daß die Leute, wenn sie über sie redeten, oft hinzufügten: »Lilian Florin, ja, ihr Schwiegersohn ist Arzt, weißt du?« Das trug ihr einen gewissen Respekt ein. Aber dieses Mädchen war drauf und dran, alles zu zerstören.
Also hatte sie getan, was sie tun mußte. Sie ergriff die Gelegenheit, als Sara auf dem Weg zu Frida wieder umkehrte, weil sie ihre Mütze vergessen hatte. Eigentlich wußte sie nicht, warum es gerade in diesem Moment passierte. Aber plötzlich war der richtige Augenblick eben da. Stig schlief aufgrund der Schlaftabletten so tief, daß nicht einmal eine Bombenexplosion ihn geweckt hätte, Charlotte lag völlig erschöpft unten im Souterrain, und Lilian wußte, daß man dort nicht allzu viele Geräusche hörte; Albin schlief und Niclas war bei der Arbeit.
Es ging leichter, als sie gedacht hätte. Das Mädchen hielt das Ganze erst für ein lustiges Spiel, mit Kleidern in die Badewanne. Sie wehrte sich zwar, als Lilian sie mit Demut fütterte, aber sie war nicht kräftig genug. Und es war gar nicht schwer, ihren Kopf unter Wasser zu halten. Das einzig Schwierige war, sie anschließend ungesehen zum Meer zu schaffen. Aber Lilian wußte das Schicksal auf ihrer Seite, es konnte nicht mißlingen. Also hüllte sie Sara in eine Decke, trug sie in ihren Armen hinunter und warf sie ins Wasser. Dann sah sie das Mädchen versinken. Das Ganze dauerte nur ein paar Minuten,
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